Perlen vor die Säue - Eine Beleidigung?

Angelika Selzer
Perlen vor die Säue werfen
Getty Images/iStockphoto/Baloncici

Hallo,

mir wurde vorgeworfen, dass die Redewendung "Perlen vor die Säue werfen" diskriminierend sei:

Die "Christen" sind die "Perlen", und die Andersdenkenden sind die "Säue"! Diese Redewendung ist also klar abwertend, diskriminierend gemeint, sie verletzt meines Erachtens die Würde des Menschen nach Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetzes!

Für mich wäre daraus die logische Schlussfolgerung, dass Jesus in der Bergpredigt Menschen beleidigte. Die Redewendung bezieht sich auf Matthäus 7,6.

Für eine klärende Antwort bin ich dankbar.

Liebe Frau Selzer,

Bei dem Vers in Matthäus 7,6 handelt es sich um ein sogenanntes "Bildwort", das bedeutet, dass Jesus hier ein sprachliches Bild benutzt, um etwas zu erläutern. Ähnlich bekannt ist zum Beispiel: "Ihr seid das Salz der Erde" (Matthäus 5,13). Natürlich meint Jesus nicht, seine Jünger seien Salz. Es geht ihm darum deutlich zu machen, was die Jünger für die Erde bedeuten. Sie sollen vielmehr die Welt mit Gottes Botschaft durchdringen, wie Salz eine Speise durchdringt.

Der Satz mit den Perlen und den Säuen ist zu einer Redewendung geworden, die ungefähr so viel ausdrückt: "Verschwende das Gute nicht an diejenigen, die es nicht würdigen können." Was der Satz ursprünglich bedeutete, lässt sich allerdings nur schwer rekonstruieren, weil er vom Evangelisten Matthäus ja in einen bestimmten Zusammenhang (nämlich in den der Bergpredigt Jesu) gestellt wurde. Hier steht er in unmittelbarer Nachbarschaft zu ein paar Worten darüber, dass man sich nicht über andere erheben soll und andere Menschen nicht richten soll. Es lohnt sich, den Zusammenhang zu lesen:

"Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.  Denn nach welchem Recht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welchem Maß ihr messt, wird euch zugemessen werden.

Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge? Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen?, und siehe, ein Balken ist in deinem Auge.

Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach sieh zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst. Ihr sollt das Heilige nicht den Hunden geben und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, damit die sie nicht zertreten mit ihren Füßen und sich umwenden und euch zerreißen."

Matthäus 7,1-6

Das doppelte Bildwort mit den Hunden und den Säuen taucht an dieser Stelle so unvermittelt auf, dass eine Interpretation schwer fällt. Eben noch fordert Jesus die Zuhörer auf, andere nicht zu richten, auf einmal sagt er, dass es Dinge gibt, die für einige Menschen zu schade sind. Eine einleuchtende Erklärung wäre, dass mit diesem Bildwort die Verse vom "Nicht richten sollen" relativiert werden sollen - im Sinne von: Es kann auch in einer christlichen Gemeinschaft, in der man grundsätzlich nicht gegeneinander vor Gericht ziehen soll und einander nicht ständig Vorwürfe macht, Punkte geben, an denen es einfach keinen Sinn mehr hat, es wieder und wieder zu versuchen. Bestimmten Menschen – so könnte man entsprechend sagen – stellen sich selbst so deutlich gegen die Gemeinschaft, dass man sie auch ausschließen darf. Das ist wie gesagt eine Interpretation dieses Wortes. Eine andere bezieht sich darauf, dass Jesus auch an anderer Stelle seinen Jüngern sagte, sie sollten losgehen und das Evangelium verkündigen. Wo das klappt, sollten sie eine Weile bleiben, aber "wo man euch nicht aufnimmt und nicht hört, da geht hinaus und schüttelt den Staub von euren Füßen zum Zeugnis gegen sie". (Markus 6,11) Also eine Erlaubnis für die Christen, nicht jeden Menschen unbedingt missionieren zu müssen.

Sie sehen, liebe Frau Selzer, es geht in dem Satz nicht darum, andere Menschen als Säue zu beschimpfen. Es ist ein Bildwort, das Christen davon befreien will, das Gute, das Gott ihnen geschenkt hat, um jeden Preis anderen aufdrängen zu wollen, beziehungsweise es will erlauben, Menschen, die die Gemeinschaft nicht wollen, auch wegzuschicken.

Zum Schluss möchte ich ein konkretes Beispiel aus diesem Fragenbereich bringen: Ich hatte einen User, der mir seit Jahren immer wieder Fragen hier stellte und auch Kommentare verfasste. Seine Intention war immer dieselbe: Es wollte mich "überführen", wollte deutlich machen, wie dumm und falsch mein christlicher Glaube ist. Ich habe mich lange Zeit seinen Fragen gestellt, weil ich dachte, er wäre an einer Antwort interessiert. Aber das war nicht so. Er schrieb lediglich, um seine Meinung zu sagen. Wenn ich antwortete, schrieb er Kommentare dazu, die deutlich machten, dass er sich in keiner Weise darum bemühte, mich zu verstehen. Schließlich löschte ich alles, was er mir schickte, ohne es zu lesen. Seiner Meinung nach handelte ich damit nicht nur als Pastor, sondern auch als Christ falsch. Meiner Meinung nach ist aber gerade die Bibelstelle, die Sie hier angesprochen haben, die Erlaubnis, genau das zu tun: Ich muss mich nicht regelmäßig solchen Menschen und ihren Vorwürfen stellen. Ich muss und soll meine "Perlen nicht vor die Säue werfen". Nenne ich den User deswegen eine Sau? Nein, natürlich nicht. Er ist ein Mensch, und ich beschimpfe ihn nicht. Nur tut er mit dem, was mir kostbar ist, das, was der Vers sagt: Er will es zertreten. Das lasse ich nicht mehr zu.

Wir haben übrigens zu diesem und zu anderen biblischen Sprichwörtern eine Bildergalerie. Die lohnt sich sehr.

Ich hoffe, ich konnte weiterhelfen.

Herzlichen Gruß,

Frank Muchlinsky

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