Unterschiede zwischen lutherischer und reformierter Liturgie?

Frederic Geruschke
Liturgien
©epd-bild/Juergen Blume

Sehr geehrter Hr. P. Muchlinsky,
ich werde immer mal wieder auf die liturgischen Unterschiede beider Kirchenformen angesprochen: Da ich aber Lutheraner bin, kann ich diese Frage nicht beantworten .
Vielleicht wissen Sie ja diese Unterschiede zu benennen.
Mit freundlichem Gruß
Frederic Geruschke

Lieber Herr Geruschke,

als meine Großmutter am Ende des Krieges aus ihrer preußischen Heimat nach Westen fliehen musste, fand sie mit ihren Kindern schließlich eine neue Heimat in Niedersachen. Als sie dort zum ersten Mal den Gottesdienst in der evangelischen Kirche besuchte, war sie sicher, dass sie sich verlaufen hatte und bei den Katholiken gelandet sei. Der Grund, so erzählte sie mir, war "das viele Singen" der Liturgie, das sie bisher nur aus katholischen Kirchen kannte. Meine Großmutter war in einer reformierten Gemeinde aufgewachsen, und nun stand sie in einem lutherischen Gottesdienst.

Damit ist bereits der wohl augenfälligste Unterschied genannt, der zwischen lutherischer und reformierter Liturgie besteht: In lutherischen werden – wie in der römisch-katholischen – noch viele Stücke der Liturgie gesungen. Das werden Sie kennen, denn Sie schreiben, dass Sie selbst Lutheraner sind.

Darüber hinaus ist der Ablauf eines reformierten Gottesdienstes noch deutlich flexibler als der eines lutherischen. Es gibt wenige liturgische "Bausteine", die unveränderlich sind. Zwei Dinge könnten Ihnen als Lutheraner als eher ungewöhnlich erscheinen, wenn Sie einen reformierten besuchen: Das gemeinsame Sündenbekenntnis hat einen höheren Stellenwert als in der lutherischen Kirche. Entsprechend kommt es wesentlich häufiger vor als in lutherischen Gottesdiensten. Außerdem pflegt die reformierte Kirche den Psalmengesang stärker gepflegt als in der lutherischen. Es gibt zwar auch in den Gesangbüchern der lutherischen und der unierten Landeskirchen Vertonungen von Psalmen, aber in der reformierten Kirche gibt es Vertonungen zu sämtlichen 150 Psalmen. Das geht auf die Ursprünge der Reformation zurück. Schon der sogenannte "Genfer Psalter" von 1562 enthielt Neudichtungen und Vertonungen sämtlicher Psalmen. Sie sind ein fester Bestandteil des reformierten Gottesdienstes.

Wichtiger als die Unterschiede zwischen den Liturgien sind allerdings die Gemeinsamkeiten, denn der Aufbau eines Gottesdienstes ist nicht nur bei Reformierten und Lutheranern sehr ähnlich, sondern auch in der römisch-katholischen Liturgie: Am Beginn steht der Eingangsteil mit Begrüßung und Anrufung. Es folgen Verkündigung und Bekenntnis (mit Schriftlesung und Predigt), dann (bei evangelischen Kirchen nicht immer) der Abendmahlsteil und schließlich "Sendung und Segen". Die Bewegung, die sich durch diese Form vollzieht, entspricht der einer Sanduhr. Man kommt zusammen, und es verdichtet sich immer weiter. Man hält Gott hin, was man an Sorgen und Freude mitbringt, dann hört man gemeinsam auf die Bibel und die Auslegung, und am dichtesten wird es im Moment des Abendmahls. Dann weitet sich der Blick wieder, man spricht das Fürbittengebet für diejenigen, die nicht anwesend sein können, aber Hilfe brauchen. Schließlich bekommt man den Segen Gottes zugesprochen, damit alle wieder auseinander gehen können.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen weiterhelfen und grüße herzlich.

Frank Muchlinsky

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