Muss sich ein Christ ausnutzen lassen, weil er auch die zweite Backe hinhalten soll bzw. Gott über andere richtet, nicht wir selbst?
Wie soll ich reagieren, wenn ich fleißig arbeite, aber meine Kollegen faul sind und ich ihre Arbeit mit erledigen muss (erinnert mich an die Arbeiter im Weinberg, die unterschiedlich lange arbeiten, aber gleich entlohnt werden)?
Muss ich zu Menschen, die mir Böses angetan haben, weiterhin „nett“ sein? Lässt man sich dann nicht ausnutzen, egal ob man tendenziell „zu nett“ und/oder Christ ist?
Liebe Angelika,
nein! Christenmenschen müssen nicht alles ertragen. Sie müssen sich nicht ausnutzen lassen. Das Wort von Jesus, das wir „die andere Wange hinhalten“ sollen, steht in einem Zusammenhang, der das deutlich macht.
„Ihr habt gehört, dass gesagt wurde: Auge um Auge und Zahn um Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der Böses tut, keinen Widerstand! Nein! Wenn dich einer auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch die andere hin.“ (Matthäus 5,38-39)
Jesus bezieht sich damit auf eine Stelle im 2. Buch Mose. In Kapitel 21,18-32 steht das jeweilige Strafmaß für bestimmte Körperverletzungen. Dabei wird in dem Gesetz darauf geachtet, dass eben niemand die Situation eskalieren darf. Für ein verlorenes Auge darf man den Gegner nicht abstechen. Das Strafmaß für einen ausgeschlagenen Zahn ist „nur“ ein Zahn, den man selbst verliert. Das mag uns heute brutal vorkommen, aber es ist eben dafür da, dass niemand sich einfach aussucht, wie er Rache nimmt.
Wenn Jesus sagt: „Wenn dich einer auf die Backe schlägt, halt ihm auch die andere hin“, dann „verschärft“ er dieses Gesetz im Grunde genommen. Er sagt: Verzichte darauf, dich zu rächen. Er sagt nicht: Sag nichts und halte schön still, denn wer mir nachfolgt, erduldet alles. Im Gegenteil: Jemandem, der einen gerade geschlagen hat, bewusst die andere Backe hinzuhalten, ist eine Provokation, es ist Widerstand. Normalerweise würde der Schläger erwarten, dass die geschlagene Person zurückweicht. Aber stehen zu bleiben und die andere Wange hinzuhalten bedeutet: Ich habe deinen Schlag bemerkt und jetzt zeige ich dir, was Du getan hast. Beim nächsten Schlag wirst du nicht mehr sagen können, es sei „im Affekt“ passiert.
Für Sie bedeutet das meines Erachtens: Sie dürfen sehr wohl deutlich sagen, wenn Sie sich von Ihren Kollegen ausgenutzt fühlen. Sie sollen wissen, dass sie auf Ihre Kosten faul sind. Im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg geht es um etwas anderes. Der Weinbergbesitzer macht mit allen Leuten klare Verträge, an die er sich hält. Sie bekommen umgerechnet zwar einen unterschiedlichen Stundenlohn, aber niemand muss die Arbeit von anderen tun.
Und wenn jemand einem anderen Menschen wirklich Böses antut, dann muss das offengelegt und auch bestraft werden. Man muss nicht nett zu diesen Menschen sein, sondern lediglich auf Rache verzichten, nicht aber auf Rechtsprechung. Dieser Punkt ist ausgesprochen wichtig. Wer von Christenmenschen verlangt, alles zu ertragen, leistet Misshandlungen und anderen Straftaten Vorschub. Wir Christenmenschen dürfen widerstehen. Wir sollen es sogar.
Herzliche Grüße!
Frank Muchlinsky