Mit 14 zum Glauben finden?

Finnja H.
Betendes Mädchen
Foto: LeoGrand/istock/Getty Images

Sehr geehrter Herr Muchlinsky,

Ich bin 14 Jahre alt und bin in einer überzeugten atheistischen Familie aufgewachsen. Mein Vater hat die Bibel gelesen und ist Religionen gegenüber tolerant, meine Mutter hat sich nie so richtig mit dem Glauben beschäftigt, ist aber trotzdem gegen Religion. Ähnlich wie meine Mutter ist auch meine 4 Jahre ältere Schwester eingestellt.
Mein Problem ist, dass ich in letzter Zeit gemerkt habe, dass Gott da ist. Ich habe auch schon gebetet. Über die Feiertage waren wir mit Freunden unverhofft in einem evangelischen Rüstzeitheim/ einer evangelischen Heimvolkshochschule, die Übernachtungen anbietet, untergekommen. Da gab es eine Kapelle, die ich jeden Tag besucht habe.
Nun ist es so, dass meine Mutter und meine Schwester mich aufgrund meines Glaubens an Gott für eine religiöse Fanatikerin halten.
Am 06.01. ist aufgrund der Heiligen drei Könige ein Generationengottesdienst in einer naheliegenden Stadt.
Ich bin mir unschlüssig, ob ich dort hingehen sollte. Ich möchte nicht als religiöse Fanatikerin gehalten werden.
Ist es wirklich so schlimm, zu Gott zu finden und das mit 14? Kann ich als homosexuell praktizierende (feste Freundin seit 10 Monaten) überhaupt zu Gott finden?
Ist es mit 14 nicht schon zu spät? Die meisten religiösen Menschen werden ja schon von klein an christlich erzogen.

Herzliche Grüße
Finnja

Liebe Finnja,

 

ich habe erst nach dem 6. Januar wieder angefangen mit der Arbeit, darum kommt meine Antwort erst jetzt. Ich hoffe, Du magst sie immer noch lesen.

Zunächst einmal: Es ist nie zu früh oder zu spät, sich Gott zuzuwenden. Die ersten Christinnen und Christen waren alle Erwachsene, als sie sich taufen ließen. Jesus selbst hat ja auch Erwachsene zu seinen Nachfolger*innen berufen.

Für Dich ist es natürlich besonderer Weg, wenn Du Gott und das Christentum bisher nicht kennengelernt hast. Ich kann mir vorstellen, dass es ein besonderes Gefühl für Dich ist, mit dem Beten anzufangen und dich in der Nähe Gottes zu spüren. Kapellen und Kirchen sind dafür gute Orte, weil sie genügend Ruhe bieten, sich in das Gebet zu vertiefen.

 

Ich möchte Dir gern Mut machen, diesen neuen Weg weiterzugehen. Ich selbst bin auch ungefähr in deinem Alter gewesen, als ich merkte, wie wichtig mir der Glaube an Gott ist. Sehr kirchlich aufgewachsen bin ich nicht, aber im Gegensatz zu Dir habe ich auch keinen Widerstand aus meiner Familie zu spüren bekommen. Wenn mich meine Eltern für irgendwie "fanatisch" hielten, haben sie das zumindest für sich behalten. Ich denke, dass Menschen, die mit dem Glauben wenig anfangen können oder sich nie intensiver mit ihm auseinandergesetzt haben, irritiert sind, wenn sich jemand offen zum Glauben bekennt. Es kann eben verunsichernd wirken. Insofern ist es fast ein bisschen so, wie wenn man seine Homosexualität öffentlich macht Das wirst Du sicherlich auch schon erfahren haben, dass die Tatsache, dass Du lesbisch bist, andere irgendwie irritiert und verunsichert, dass sie es nicht verstehen können.

Wenn Du auf Deinem Glaubensweg weitergehen möchtest, empfehle ich Dir sehr, dass Du tatsächlich den Kontakt zu anderen Menschen suchst, die ebenfalls glauben. Konkret: Ja, geh in Gottesdienste. Sprich mit anderen Leuten über Deinen und über ihren Glauben. Wenn Du willst, kannst Du auch in den Konfirmandenunterricht gehen. Du bist 14, das heißt, dass Du nach dem Gesetz "religionsmündig bist. Das bedeutet, dass Du selbst darüber entscheiden kannst, welchen Glauben Du praktizierst. Du könntest Dich sogar ohne die Einwilligung Deiner Eltern taufen lassen und in die Kirche gehen. Allerdings lese ich Deine Zeilen so, dass Deine Eltern letztlich tolerant genug sin, dass sie Dir das nicht verbieten würden.

 

Ich kann gut verstehen, dass Du nicht als Fanatikerin angeschaut werden möchtest. Aber nur weil Du Gott in Deinem Leben spüren möchtest und betest, bist Du och lange keine religiöse Fanatikerin. Wie gesagt, der Glaube wirkt auf viele Menschen ein wenig verunsichernd. Aber Du kannst ja mal versuchen, Deiner Schwester und Deiner Mutter zu erklären, was Dir daran gut tut. Und damit kommen wir wieder zu dem Punkt: Sprich mit anderen Christ*innen. Auf diese Weise kannst Du eine Sprache finden, mit der Du Deinen Glauben ausdrücken kannst. Das ist ja tatsächlich etwas, das Du bisher durch Deine Eltern natürlich noch nicht gelernt hast. Aber es ist – wie gesagt – niemals zu spät dafür.

Nun noch kurz zu Deiner anderen Frage: Der christliche Glaube, wie ich ihn verstehe, fragt nicht nach sexueller Orientierung. Es geht in unserem Glauben wenig um Se, dafür immer um Liebe. Und wenn Du eine Frau liebst, dann ist das schön  und gut. Du wirst sicherlich auch immer wieder Menschen treffen, die das ganz anders sehen. Ich rate Dir: Höre ihnen zu und versuch zu verstehen, warum sie so denken, wie sie das tun. Und dann bleib trotzdem, wie Du bist.

 

Ich wünsche Dir von Herzen alle Gute für die Zukunft und viel Freude und Glück mit Deinem neu gefundenen Glauben.

Herzliche Grüße

Dein Frank Muchlinsky

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