Zweifeln an dem, was in der Bibel steht

Dimitri Getke
Zweifel an der Bibel
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Hallo Frau Heu,

Je stärker ich mich mit der Bibel beschäftige, umso stärker beginne ich zu zweifeln.

Ich bin evangelisch aufgewachsen und konnte manchmal die Anwesenheit Gottes in den kleinen Dingen spüren manchmal nur ein leichtes "Seuseln" manchmal hat es mir ein Lächeln in das Gesicht gezaubert.

Aber nun wo ich stärker lese, eine Naturwissenschaftliche/Kulturelle Ausbildung hinter mir habe und stärker in der Bibel lese, zweifele ich immer stärker.

Ich halte besonders das alte Testament für sehr schwierig, weil Gott dort direkt in die Geschichte eingreift. Warum sollte Gott ein Volk bevorzugen? (ich weiß ja, dass man die Geschichten in den historischen Kontext einbetten muss, aber ich werde daraus irgendwie nicht schlau)

Weiter im Neuen Testament die Evangelien, die ich sehr verehre weil dort ein humanistisches Menschenbild gezeichnet wird. Nun spricht aber Jesus plötzlich vom Weltuntergang und sagt es werde wie auf der Arche Noah sein. Wenn zwei Menschen auf dem Feld arbeiten wird nur einer mitgenommen.

Also hier wird wieder ein Bild von einem zornigen Gott gezeigt, statt wie sonst gepredigt einem Barmherzigen.

Ich hoffe Sie können nachvollziehen was ich mit all dem meine. Ich bin mir nicht sicher, ob ich meine Frage auf den Punkt gebracht habe, weil sich da noch einiges in mir bewegt.

Vielen Dank!

Lieber Herr Getke, 

vielen Dank für Ihre Ausführungen und Ihre spannende Frage. Die Grundstimmung Ihres Zweifelns kann ich gut nachvollziehen und auch sehr gut verstehen. Zugegeben, ist es schwierig auf diese verschiedenen Aspekte, die Sie nennen, mit einer allumfassenden Antwort zu reagieren. Ich werde aber versuchen, mir einzelne Aspekte herauszunehmen und Ihnen darauf eine Antwort zu geben. 

Grundsätzlich handelt es sich bei der Bibel um ein Buch, welches über viele Jahrhunderte entstanden ist und sich entsprechend verändert hat. Genauso vielfältig und facettenreich wie seine Entstehungsgeschichte ist, sind auch die Geschichten und Erzählungen, die wir in der Bibel finden. Einmal wird im Alten Testament der zornige Gott dargestellt, der zwar nie lacht, aber manches Mal weinen kann. Oder im Neuen Testament finden wir die spannungsgeladene Beziehung zwischen Gott Vater und seinem Sohn, Jesus Christus. Man fragt sich: ist denn dann alles Handeln was wir von Jesus lesen, gleichzeitig Gottes Handeln? Wie kann Gott barmherzig sein und trotzdem auch wütend? Beides finden wir im Neuen Testament. Wenn Sie einen Gottesdienst besuchen und dort eine Predigt hören (und wie sie schreiben, der barmherzige Gott gepredigt wird), dann kann es einer Predigt gar nicht gelingen all diese verschiedenen Facetten abzubilden und darauf einzugehen. Das würde den Rahmen eines Gottesdienstes völlig sprengen. Achten Sie mal darauf: nicht immer wird der barmherzige Gott gepredigt, obwohl wir das manchmal gern so hätten. 

Lassen Sie es mich noch mit einer bildlichen Vorstellung versuchen: wenn Sie an einem beliebigen Wochentag zu einer beliebigen Uhrzeit eine Bahnhofshalle betreten, werden Sie, je nach Tageszeit, viele oder nicht so viele Menschen sehen. Jeder dieser Menschen hat einen anderen Hintergrund, Motive, die ihn oder sie antreiben, Erlebnisse am jeweiligen Tag, Menschen, die ihn oder sie beeinflussen oder berühren. Jeder der Menschen dort ist also einzigartig und somit völlig verschieden von den anderen. Wie soll man da auf einen grünen Zweig kommen? Das macht das Verhältnis der einzelnen Menschen zueinander sehr komplex. Diese Komplexität, die wir in unserer Gesellschaft abgebildet finden, finden Sie auch dort in dieser Bahnhofsvorhalle. Es ist zwar wohl bei Weitem nicht von jeder Facette unserer Gesellschaft jemand vertreten, aber insgesamt ist es wohl ein ziemlich bunter Haufen verschiedener Menschen, der Ihnen dort begegnet. 

Wenn Sie dieses Bild nun auf die Bibel und ihren Adressatenkreis sowie ihren Autorenkreis übertragen, können Sie sich vorstellen, woher diese vielfältigen Erzählungen kommen - nämlich genau von diesen unglaublich verschiedenen Menschen, die sie niedergeschrieben haben. Sie können immer nur einen Bruchteil dessen aufschreiben, was sie erlebt haben. So widmen sie das meist dem Besonderen, also dem, was sich von dem Alltäglichen abhebt. Und so kann für verschiedene Menschen Verschiedenes besonders sein. Gott überhaupt in menschlichen Eigenschaften und Kategorien beschreiben zu wollen, ist eigentlich schon ein Ding der Unmöglichkeit. Denn wenn wir Gott als den Allmächtigen und Allgegenwärtigen fassen, dann können wir uns mit Erzählungen über sein Handeln nie ganz ihm annähren. 

Ich hoffe, ich konnte Ihre Frage beantworten und Ihnen vielleicht einige Denkanstöße mit auf den Weg geben. Für das Zweifeln wünsche ich Ihnen alles Gute und halten Sie daran fest. Im Zweifel wird der Glaube gestärkt.  

Ich wünsche Ihnen alles Gute. 

Pia Heu 

P.S. Vielleicht haben Sie Lust, noch andere Antworten hier zu lesen, die sich mit einem ähnlichen Thema beschäftigen. Ich habe Ihnen hier ein paar herausgesucht:

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