Ist Sex eine "eheliche Pflicht"?

Maria
Sex als eheliche Pflicht?
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Sehr geehrter Herr Muchlinsky,
ich bin seit vielen Jahren mit meinem Mann verheiratet. Es gab während dieser Zeit sehr schwierige Phasen mit Arbeitslosigkeit meines Mannes und Problemen mit den Kindern (ein Kind ist behindert). In dieser Zeit habe ich mittelschwere bis schwere Depressionen bekommen und habe sie immer noch. Die Krankheit wurde mit Medikamenten behandelt, die meine Libido vollkommen zum Erlöschen brachten (und bringen). Ich habe schon etliche Präparatwechsel gehabt deswegen, teilweise mit schlimmen Nebenwirkungen. Es hat nicht geholfen.
Mein Mann forderte und fordert trotzdem regelmäßig den Sex ein und begründete dies biblisch. Irgendwo stände, ich glaube bei Paulus, dass die Ehepartner "einander nicht vorenthalten sollen". Deshalb sei es meine moralische und christliche Pflicht, mit ihm Sex zu haben - auch wenn mir nicht danach ist.
Ich ließ es also über mich ergehen, denn sonst wurde er auch mal wütend und schrie herum, ich würde meine "ehelichen Pflichten" nicht erfüllen. Der Hinweis auf die Depression und die Medikamente halfen nichts.
Ende 2018 entdeckte ich zufällig, dass er schon fast seit 10 Jahren zu Prostituierten ging. Als ich ihn zur Rede stellte, sagte er, ich hätte ihn "sexuell hängen gelassen", er hätte keine andere Wahl gehabt. Dabei war das gar nicht komplett der Fall.
Ist es wirklich so, dass man "einander nicht vorenthalten" soll, und wenn ja: wie sieht es bei Krankheit aus?
Sieht die Bibel vor, dass ein Mann sich bei Prostituierten "Erleichterung" verschafft, wenn die Frau nicht dazu in der Lage ist?
Vielen Dank
Maria

Liebe Maria,

Sie befinden sich wirklich in einer unangenehmen Situation. Wenn in einer Partnerschaft die Lust aufeinander einseitig erlischt, haben beide zwangsläufig ein Problem. Dass Sie deswegen den Sex "über sich ergehen lassen", ist keine Lösung dieses Problems, denn es reißt nur einen Graben zwischen Ihnen und Ihrem Mann auf. Es kann dazu führen, dass Sie sich ihm auch in anderer Hinsicht weniger gern nähern möchten. Es kann dazu führen, dass Sie keine Wege mehr finden, Ihre gegenseitige Liebe auszudrücken. Wenn Paulus an die Korinther schreibt: "Entzieht euch nicht einander!" (1. Kor 7,5), dann schreibt er diese Zeilen an eine Gemeinde, in der die Leute aus religiösen Gründen angefangen haben, auf Sex zu verzichten. Einige Menschen in Korinth warteten so sehnlich auf die Wiederkehr Jesu, dass sie sich am liebsten von allem fern halten wollten, was sie für zu weltlich hielten. Es war also nicht fehlende Libido, sondern freiwilliger Verzicht, eine Art Fasten, wenn Sie so wollen. Dazu kann Paulus sagen: Lasst es sein! Das braucht es nicht. Damit ist nicht ausgesagt, dass eine Frau ihrem Mann zum Sex zur Verfügung zu stehen hätte. Ein Nein ist immer ein Nein - auch in einer Ehe.

Wenn Sie und Ihr Mann einander noch lieben, dann ist es jetzt geboten, dass Sie einander helfen, weil keiner von Ihnen das Problem allein lösen kann. Der Versuch Ihres Mannes, sich das, was er bei Ihnen nicht bekommt, an anderer Stelle zu holen, ist so ein Beispiel dafür, wenn nur eine Seite versucht, das Problem zu lösen. Darum rate ich Ihnen dringend, dass Sie sich in eine Paartherapie begeben. Im Gespräch mit einer Therapeutin oder einem Therapeuten können Sie gemeinsam eine Lösung suchen, die keiner Seite weh tut.

Ich wünsche ihnen dazu Kraft und Mut und grüße Sie herzlich.

Frank Muchlinsky

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