Warum wurde die Apostelin Junia zum Mann gemacht?

Clarissa
Frauenhände halten eine Bibel
©Getty Images/STOCK4B-RF/Sarah Kastner

Meine Frage ist, ob die Frau im Neuen Testament bewusst zurückgesetzt wird, da zum Beispiel die Apostelin Junia nicht als weiblich anerkannt wird. Außerdem würden mich weiter Quellentexte dazu interessieren.
Und was für eine Rolle nehmen die römischen Priesterinnen ein ?

Liebe Grüße

Liebe Clarissa,

vielen Dank für Ihre Frage! Sie sind da einem spannenden Thema auf der Spur. In der Tat lässt Paulus am Ende seines Briefes an die Gemeinde in Rom (Röm 16,7) eine Apostelin namens Junia grüßen, die mit ihrem Ehemann Andronikus und Paulus zusammen in Gefangenschaft gewesen ist und von der gesagt wird, dass sie schon vor Paulus Apostelin gewesen sei. In älteren Bibelübersetzung liest man aber in diesem Vers den Namen "Junias", so dass man meinen könnte, Paulus spreche hier von einem Mann. In den meisten alten Handschriften des Römerbriefes, also den ursprünglichsten Textfassungen, findet sich allerdings die weibliche Form "Junia" und auch die Kirchenväter in den ersten Jahrhunderten haben immer ganz selbstverständlich von einer Frau namens Junia gesprochen. Die männliche Form Junias wurde eigentlich erst seit dem 13. Jahrhundert in die Texte eingetragen.

In der Zeit des Mittelalters waren Frauen mit sehr viel weniger Rechten ausgestattet als Männer und so konnten sich wohl diejenigen, die in dieser Zeit die biblischen Texte gelesen und ausgelegt haben, beim besten Willen nicht vorstellen, dass Paulus hier von einer Frau als Apostelin in solch lobenden Tönen spricht. Man hätte durchaus auch im Mittelalter darauf kommen können, dass es sich nicht um einen männlichen Junias handeln kann, weil es einen solchen Namen für Männer in der Antike gar nicht gegeben hat. Aber manchmal ist es ja leider so, dass Menschen dazu neigen, das zu glauben, was besser in ihr Weltbild passt. Genauer gesagt, sind es also in diesem Falle nicht die biblischen Texte selber, welche Junia verschwinden lassen, sondern sie ist im Rahmen der Auslegungsgeschichte zum Mann gemacht worden.

Ihr Hinweis auf die römischen Priesterinnen zeigt ja, dass es kein Einzelfall in der antiken Welt gewesen ist, dass auch Frauen wichtige Aufgaben im religiösen Bereich übernommen haben. So gab es beispielsweise die Vestalinnen, welche die wichtige Aufgabe hatten, ein Feuer zu Ehren der Göttin Vesta im Tempel nicht erlöschen zu lassen. Bei den ersten christlichen Gemeinden ist Junia nicht die einzige Frau, die offenbar eine wichtige Rolle gespielt hat. So ist z. B. ebenfalls am Ende des Römerbriefes noch von Phoebe die Rede (Röm 16,1-2), die der Gemeinde in Kenchräa bei Korinth viele Dienste geleistet habe, sowie von Priska (Röm 16,3, Apg 18,2, 1.Kor 16,19), der Ehefrau von Aquila, die zusammen missioniert haben. Hier ist besonders auffällig, dass Priska immer vor ihrem Mann Aquila genannt wird, so dass man davon ausgehen kann, dass sie die treibende Kraft der beiden war. Nicht nur in den Paulusbriefen, sondern auch in den Evangelien ist von wichtigen Frauengestalten die Rede, so wie beispielsweise den beiden Frauen, die als erste Zeuginnen von Jesu Auferstehung geworden sind (Mk 16).

Die Gleichstellung von Frauen und Männern hat in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen. Das hat auch dazu geführt, dass Bibelforscherinnen und –forscher vermehrt nach der Lebensrealität von Frauen fragten, die sich hinter den biblischen Texten aufspüren lässt. Schön, dass Sie sich auch auf eine solche Entdeckungsreise begeben wollen. Ich wünsche Ihnen dabei spannende Einsichten. Wenn Sie sich noch weiter in das Thema rund um die Apostelin Junia vertiefen möchten, können Sie das bei WiBiLex, dem wissenschaftlichen Bibellexikon im Internet tun. Hier ist der direkte Link: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/51888/

Herzliche Grüße,

Katharina Scholl

Fragen zum Thema

Liebe Marlene,viele Jahre hatte unsere Familie einen Hund. Nach vierzehn Jahren legte der…
  Hallo Jockel,   nein, ich finde überhaupt nicht, dass das lächerlich…
Liebe Irene, der Begriff "Perikope" kommt aus dem Griechischen und beschreibt das "…