Auf einer meiner "Bibelexkursionen" bin ich bei der Geschichte von der Sintflut gelandet. Beim lesen des Textes in 1. Mose 7,1-24 und 1. Mose 8,1-22 ist mir folgendes aufgefallen. Laut 1. Mose 7,4 und 1. Mose 7,12 dauerte die Sintflut 40 Tage und 40 Nächte. Laut 1.Mose 7,24 und 1. Mose 8,3 sind es plötzlich 150 Tage. Wie kommt es zu diesen unterschiedlichen Angaben zur Dauer der Sintflut? Wurde der Text evtl. von mehreren Verfassern geschrieben, die sich, was die genaue Dauer der Sintflut angeht, nicht einig werden konnten?
Liebe Susanne,
da haben Sie gut aufgepasst bei der Bibellektüre! Sie haben vollkommen Recht: Die Geschichte von der Sintflut hat nicht nur eine Version sondern zwei. Übrigens wird das auch an anderer Stelle deutlich:
Zuerst heißt es: (1.Mose 6,19) Und du sollst in die Arche bringen von allen Tieren, von allem Fleisch, je ein Paar, Männchen und Weibchen, dass sie leben bleiben mit dir.
Später aber kommt der Befehl von Gott noch einmal und da lautet er so: (1.Mose 7,2)
Von allen reinen Tieren nimm zu dir je sieben, das Männchen und sein Weibchen, von den unreinen Tieren aber je ein Paar, das Männchen und sein Weibchen.
Wie viele Tiere sollte Noah denn nun eigentlich mitnehmen auf die Arche?
Insgesamt merkt man doch recht schnell, dass hier zwei Versionen einer Geschichte miteinander verbunden wurden. Daher kommt es auch, dass die Dauer der Sintflut einmal so und einmal anders erzählt wird.
Ihre Vermutung, dass es mehrere Verfasser des Textes gab, stimmt also aller Wahrscheinlichkeit nach vollkommen. Interessant ist, wie man vorgegangen ist: Anstatt sich für eine Version zu entscheiden, sind beide Versionen der Geschichte zusammengeschrieben worden. Das ist nichts Ungewöhnliches für die Bibel. Ein anderes bekanntes Beispiel ist die Erzählung von der Rettung des Volkes Israel am Meer. Auch hier gibt es zwei Versionen. Einmal sagt Gott zu Mose: (2.Mose 14,16) Du aber hebe deinen Stab auf und recke deine Hand über das Meer und teile es mitten durch, so dass die Israeliten auf dem Trockenen mitten durch das Meer gehen. Dann aber, als es so weit ist, heißt es: (2.Mose 14,21) Als nun Mose seine Hand über das Meer reckte, ließ es der HERR zurückweichen durch einen starken Ostwind die ganze Nacht und machte das Meer trocken,
Wenn das Meer aber trocken ist, kann es sich nicht mehr teilen. Trotzdem: Um diese Version mit der von den Mauern aus Wasser zu verbinden, wurde darum an dieser Stelle noch eingefügt: „und die Wasser teilten sich.“
Sie sehen: Die Bibel ist häufig nicht darauf aus, Ungereimtheiten zu glätten, oder sich bei Widersprüchen für die eine oder die andere Version zu entscheiden. Vielmehr wurde bei der Abfassung beides stehen gelassen und miteinander verbunden – sichtbare Brüche und Nahtstellen inklusive.
Den Verfassern der Bibel ging es darum, davon zu erzählen, wie Gott sich den Menschen offenbart. Da kommt es nicht darauf an, wie viele Tiere oder Tage es bei der Sintflut waren. Vielmehr kam es darauf an zu erzählen, dass Gott mit seiner eigenen Schöpfung nicht zufrieden war und sie darum vernichtete, einige aber rettete und anschließend versprach, niemals wieder die Erde so zu zerstören.
Ich wünsche Ihnen weiterhin eine so aufmerksame Bibellektüre!
Herzliche Grüße
Frank Muchlinsky