Chris
Hallo liebes Team,
seit dem unerwarteten Tod meiner Mutter im Jahr 2022 bin ich dem christlichen Glauben nähergekommen. Ich habe dort Vertrauen und Halt gefunden und die Kraft erhalten, die vielen anfallenden Aufgaben nach einem Todesfall zu erledigen. So fand ich dank der Bibel die Kraft und den Mut, mich gleichzeitig um die Beerdigung zu kümmern und für meinen Vater und meine Geschwister da zu sein, die sehr schwierige Zeiten durchgemacht haben.
Allerdings gibt es ein Problem: Ich bin homosexuell. Dieses Problem begleitet mich schon die ganze Zeit, da ich von mehreren Priestern gehört habe, dass die Auslebung homosexueller Neigungen immer eine Sünde ist. Einige meinten, es sei keine schlimmere Sünde als Diebstahl oder Mord. Das hat mich allerdings nicht wirklich beruhigt, da ich Diebstahl und Mord als sehr schwere Sünden betrachte, durch die Menschen zu Schaden kommen. Außerdem wurde ich darauf hingewiesen, dass Homosexualität unnatürlich sei und ein Resultat der Ablehnung und des Ungehorsams Gott gegenüber sei. Meistens wird auf 1. Mose 19,1–13; 3. Mose 18,22; Römer 1,26–27; 1. Korinther 6,9; Römer 1,24–27 verwiesen. Diese Stellen sollen die Bestätigung sein, dass Homosexualität ein ungewolltes Handeln gegenüber Gottes ist.
Ich weiß, dass die Auslegung der Bibel immer eine komplizierte und sehr individuelle Angelegenheit ist. Allerdings fühle ich mich dadurch sehr schlecht. Mehrere Priester haben mir versichert, dass Gott keine Menschen mit homosexuellen Neigungen schafft und dass es eine freie Wahl ist. Zwar wird mir versichert, dass ich Vergebung in Jesus finden kann, wenn ich homosexuelle Aktivitäten meide und mich für meine Sünde schäme. Meistens wird dabei auf 1. Korinther 6,11 und 2. Korinther 5,17 verwiesen.
Nun fällt es mir schwer zu wissen, ob ich Gott damit beleidige, dass ich homosexuell bin. Es gibt zwar einige Artikel dazu, aber ich habe bisher keinen Priester persönlich getroffen, der mir gesagt hat, dass ich so von Gott geschaffen wurde. Lange Zeit war ich der Meinung, dass ich mich nicht selbst dafür entschieden habe, denn ich wäre lieber heterosexuell, um mir die Anfeindungen von Familie oder anderen Gemeindemitgliedern zu ersparen. Allerdings verzweifle ich langsam. Ich versuche, gute Taten zu tun, den Menschen zu helfen, denen ich helfen kann, und denen Mut zu machen, die ihn benötigen. Aber ich komme mir doppelmoralisch vor. Einerseits sündige ich durch mein Handeln, andererseits versuche ich, anderen Menschen mit dem Glauben Mut zu machen. Manchmal weiß ich nicht mehr weiter.
Ich habe hier immer gute und ausführliche Antworten zu verschiedenen Themen gelesen. Ich wollte einfach nur wissen, ob die Pastoren meiner Gemeinschaft recht haben, dass ich mich mit jeder homosexuellen Handlung (selbst aus Liebe zu einer Person) versündige und Gott verschmähe. Der Glaube hat mir viel Kraft gegeben, um mit schwierigen und schmerzhaften Situationen zurechtzukommen. Allerdings bin ich zum ersten Mal mit dem Gedanken konfrontiert, ob ich diesen Glauben eigentlich haben darf, wenn ich allein durch meine Existenz ständig sündige. Es fühlt sich für mich zum ersten Mal so an, als sei ich vom Glauben nicht willkommen, und das reißt mich in einen Abgrund, den ich lange nicht mehr kannte. Ich hatte gehofft, neben all dem Hass, dem ich durch meine Homosexualität sonst im Leben ausgesetzt war, endlich Liebe und Frieden im Glauben an Jesus Christus und Gott zu finden. Allerdings bricht dieses Konstrukt für mich immer mehr zusammen, weil ich das Gefühl habe, nicht willkommen zu sein. Ich wollte einfach nur wissen, ob ich die Möglichkeit habe, zu Gott zu finden, ohne mich jedes Mal schlecht fühlen zu müssen, wenn ich eine Person kennenlerne, die mich näher interessiert, und dann darauf verzichte, um nicht in Ungnade bei Gott zu fallen.
Ich würde mich sehr über eine Antwort freuen, auch wenn diese das bestätigen sollte, was die Priester meiner Gemeinde zu mir sagen.
Viele Grüße, Chris!
Hallo Chris,
deine Frage zerreißt mir das Herz. Darum möchte ich dir eine klare Antwort geben: Du musst für deine Sexualität weder Gott noch irgendwelche Menschen um Vergebung bitten! Ich finde es unerträglich, wenn Pastoren behaupten, dass du dich mit jeder homosexuellen Handlung versündigst und Gott verschmähst. Nein, das tust du nicht!
Liebe, auch spontan aufkeimende Zuneigung, ist ein Geschenk Gottes. Verschmähe dieses Geschenk nicht, schlage es Gott und den Menschen nicht aus. Fühle deiner Liebe nach und sei dir sicher: Liebe zwischen Menschen ist Gottes Gabe, die er für dich persönlich bereit hält. Nimm sie bitte dankbar entgegen. Und: Gib dem Gedanken, dass Homosexualität Sünde sein könnte, einen kraftvollen Abschied. Sie ist es nicht! Du brauchts für diese Gefühle, die du beschreibst, niemanden um Vergebung zu bitten, bitte auch nicht bei Gott.
Wenn du also einem Menschen begegnest, Ihr Euch gegenseitig anziehend findet und - sei es nur für eine kurze Zeit - eine Partnerschaft beschließt, dann zählt nur, dass Ihr Euch aufeinander verlassen könnt, verantwortungsvoll miteinander umgeht und einander vertraut. Denn Vertrauen, Verantwortung und Verlässlichkeit sind die Eckpfeiler für eine Begegnung, die dem christlichen Glauben entspricht.
Übrigens: Es ist - unabhängig von der sexuellen Orientierung - grundsätzlich extrem schwer aus Gottes Gnade herauszufallen. Wer ist Gott? "Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm", sagt der 1. Johannesbrief (1. Joh 4,16b). Und was will Gott für uns Menschen? "Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen." (1. Tim 2,4) Ich bin davon überzeugt, dass Gott sich von seinem Willen, uns Menschen, dich und mich, zu retten nicht abbringen lässt.
Bitte entschuldige, dass Du auf diese Antwort einige Zeit warten musstest, wir, das evangelische Fragen-Team, haben ähnliche Fragen häufig beantwortet, eigentlich sollte jede und jeder mittlerweile wissen: Homosexualität ist keine Sünde, lasst Euch nichts einreden! Aber dein persönlicher Schmerz trifft mitten ins Herz: Bitte verlasse dich auf den Glauben, der dir in der Trauer um deine Mutter Halt gibt. Das will Gott: Trost und Zuversicht schenken. Es ist so wichtig, dass du die Zuversicht verspürst und sie in deiner Familie weiter gibst. Das sollst du wissen: Jemand, der mit dem Glauben im Herzen seine Familie stützt, ist ein Schatz unserer Kirche. Danke für dieses Zeugnis, das du in deiner Frage, die du uns stellst, ablegst. Gott segne dich und schenke dir Mut dein Leben zu leben.
Etwas theologischer, als ich es kann, hat Prof. Dr. Hartmut Rosenau das alles im Frühjahr dieses Jahres aufgeschrieben: "Homosexualität in Kirche und Bibel: Die Fakten".
Bitte sei dankbar, dass Gott dich liebt, dir viele Sünden vergibt, aber eine Sünde mit dem Namen "Homosexualität" muss er nicht vergeben, dieses Sünde existiert wirklich nicht.
Herzlich grüßt dein Henning Kiene, Pastor i.R.