Missionsbefehl – ist eine Neuinterpretation möglich?

Mathis Oberhof
ich wende mich heute an Euch, weil ich auf der Suche nach einer Neuinterpretation des Missionsbefehls bin. Vor einigen Wochen oder Monaten habe ich in einer Zeitung oder einem Blog – vielleicht Chrismon, evangelisch.de oder im Spiritusblog – einen Beitrag gelesen, der mir sehr wichtig erschien. Dort wurde dargestellt, dass neuere Übersetzungsforschungen nahelegen, es heiße nicht „Geht hin und lehret alle Völker“, sondern sinngemäß: „Geht hin und kommt mit allen Menschen ins Gespräch.“ Das wäre ja ein gewaltiger Unterschied in der Botschaft. Leider finde ich die Quelle nicht mehr. Kennt ihr diese These – und könnt ihr mir, falls ja, eine Quelle dazu nennen?

Lieber Mathis,

vielen Dank für deine Frage. Du fragst nach einem Bibeltext, der häufig gelesen und dessen Übersetzung immer wieder diskutiert wurde und - auch dank deiner Frage - im Gespräch bleibt. Meine Kurzantwort: Die Quelle, auf die du dich berufst, kenne ich nicht (aber ich werde weiter danach suchen). In jedem Fall: Die Interpretation der Übersetzung des Missionsbefehls mit "kommt ins Gespräch" ist aus meiner Sicht gut möglich. Denn: Wo immer Jesus aufgetreten ist und gepredigt hat, hat er mit Menschen das Gespräch gesucht. Jesu ganzes Leben kann man als ein andauerndes Gespräch mit den Menschen verstehen, denen er begegnete. Inhalt der Begegnungen Jesu: Das Reich der Himmel so in lebensnahe Worte und Bilder zu fassen, dass die Zuhörer:Innen sich eingeladen wissen. Martin Luther übersetzte 1545 den Text so: "Darum gehet hin und lehret alle Völker". In dem Wort "lehren" ist - natürlich - das Gespräch enthalten. Also: Der Gedanke, den du - aus welcher Quelle ist jetzt nicht so wichtig - aufgefangen hast, ist dem ursprünglichen Sinn der Verkündigung Jesu sehr nahe.  Wir brauchen eine neue Interpretation, die den ursprünglichen Inhalt wieder in den Vordergrund stellt. 

Der Text der Lutherbibel wurde - nach Luthers Tod - immer wieder den Sprachgewohnheiten der Gegenwart angepasst. In den 1950er Jahren kam es zu einer Überarbeitung der Lutherbibel. Während es 1912 noch im Missionsbefehl noch "lehret" hieß wurde nun - gegen Luthers Idee - so übersetzt: "Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker". Das ist tatsächlich ein Unterscheid. "Machen" klingt eher so, als könnten Menschen in anderen Menschen Glauben erzeugen. Bis sich dieses "machet zu Jüngern" durchgesetzt hatte, dauerte es wieder einige Jahrzehnte. Jede Generation bleibt ja bei dem Text, in den sie sich hineingehört hat. So habe ich, da ich in den 1990er Jahren Pastor wurde, bei jeder Taufe, die ich verantworte auch verlesen: "Machet." Das klang in meinen Ohren nie so, als käme es aus der Mitte des Evangeliums. Bis 2017 blieb das so. 

Denn: Seit 2017 gilt die Lutherbibel 2017 als der offizielle Text in der Evangelischen Kirche in Deutschland. Da steht es wieder: "Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." (Matthäus 28,19+20) Ich finde, das ist eine wichtige Öffnung, denn Mission ist nun kein Machen mehr, sondern wird zum Ereignis, in dem alle Beteiligten lernen können und müssen. 

Die Diskussion um diesen Bibeltext fasst der Wissenschaftler Prof. Dr. Wolfgang Reinbold, der sich mit dem Text befasst hat, so zusammen: "Eine Mission im Namen Jesu Christi kann nichts anderes sein, als eine freundliche Einladung zum Vertrauen auf den Gott, der sich in Christus zu erkennen gegeben hat.

Du siehst, du bist mit deiner Einsicht in sehr guter Gesellschaft,

herzlich dein Henning Kiene 

Fragen zum Thema

Lieber Herr Hassel, es stimmt: Die Idee einer Allversöhnung setzt sich langsam immer…
Lieber Marvin, bitte schauen Sie einmal hier nach. Da habe ich diese Frage beantwortet…
Liebe Mirja, danke für die liebe Rückmeldung und die Frage! Wie Ihnen geht es leider…

Schlagworte