Liebes Frag Evangelisch Team,
ich bin gerade in einer Phase meines Glaubens, in der ich mich intensiver mit meiner Beziehung zu Gott beschäftige. Dabei bin ich auf Fragen oder vielleicht eher Unklarheiten gestoßen. Und zwar war es, soweit ich mich an Christenlehre, Konfirmationsunterricht etc. erinnere, schon immer irgendwie selbstverständlich, dass man als Christ davon spricht, Gott zu lieben. Es hieß zwar auch immer, dass es wie in jeder Beziehung mal bessere und mal weniger gute Phasen gibt, aber der Konsens war, dass man im Großen und Ganzen Gott doch liebt. Nun ist es so, dass ich zwar recht fest in meinem Glauben an Gott stehe, aber ich nicht aufrichtig behaupten kann, Gott zu lieben. Und das ist auch nichts, was ich behaupten möchte, ohne es wirklich zu fühlen, einfach aus Respekt gegenüber Gott und weil ich die Beziehung zu Gott ehrlich gestalten möchte.
Auch bin ich schon öfters der Auffassung begegnet, dass diese Liebe zu Gott etwas ist, was von Gott selbst gegeben wird. Doch nach meinem Verständnis darüber, dass wir uns ja freiwillig und ehrlich für Gott entscheiden sollten, passt dieses dann doch wieder von oben auferlegte nicht. Auch damit verbunden ist der Gedanke, dass man „den Himmel“ und das ewige Leben auch als eine Art Belohnung sehen kann, und manchmal kommt es mir im Gespräch mit anderen Christen so vor, als ob einige nur wegen dieser Belohnung eine Beziehung zu Gott suchen. In einigen Vorstellungen von dem ewigen Leben, die ich gehört oder über die ich gelesen habe, spielt Gott nicht mal wirklich eine Rolle. Manchmal habe ich diese Gedanken auch bei mir selbst. Und auch wenn die Beziehung von Menschen zu Gott anders als zwischenmenschliche Beziehungen ist, kommt mir das doch sehr unaufrichtig vor. Sollten wir nicht ohne Hintergedanken eine Beziehung zu Gott suchen?
Vielleicht können Sie mir ja helfen, etwas mehr Klarheit zu bekommen.
Liebe Grüße
Liebe Fragestellerin, lieber Fragesteller,
Sie möchten etwas mehr Klarheit? Sie möchten Gott ohne Hintergedanken lieben? Ich begrüße Sie in guter Gesellschaft. Mir geht es genauso wie Ihnen. Bedingungslose Liebe, die in aller Klarheit Gott liebt und bekennt, die suche ich auch. Ich vermute, Sie, ich, viele - vielleicht alle - Christinnen und Christen sind auf diesem Weg: Sie suchen Klarheit, bedingungslose Liebe, ich bin auf dieser Suche, viele andere Menschen sind es mit uns.
Und dann denke ich: Reicht meine Liebe zu Gott überhaupt? Niemals würde meine menschliche Liebe genug sein, um Gott auch nur ansatzweise zu erfassen. Und dann öffne ich die Bibel und lese: "Wir haben erkannt und geglaubt, die Liebe, die Gott zu uns hat: Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm." 1. Johannesbrief 4,16 Das entlastet mich, ich muss meine - immer zu kleine - Liebe nicht mit Gottes - unermesslicher - Liebe messen. Ich würde diese Liebe nie erreichen. Das ist meine erste Antwort an Sie: Der Respekt mit dem wir Christinnen und Christen vor Gott treten, beginnt mit der Erkenntnis, dass Gott uns mit seiner Liebe zuvorkommt. Es geht um das Staunen angesichts der überwältigenden, schöpferischen und liebenden Kraft, denn in Christus "wurde alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Mächte oder Gewalten; es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen." Kolosserbrief 1,16 Also: Gottes Liebe ist so üppig, dass diese Liebe sogar für mich kleinen Menschen reicht. Oder: Ich darf sein und glauben, weil Gott mich liebt. Ich vermute, dieses Gefühl, dass Ihre Liebe zu Gott nicht echt sein könnte oder nicht ausreicht, hat hier ihre Wurzel. Sie ahnen: Vor Gottes Liebe kann eigene Liebe nur kapitulieren. Seine Liebe ist aber wie ein Wasserstrom, sie trägt uns, die wir darin schwimmen, gnädig mit.
Nun mute ich Ihnen einen schweren Gedanken zu. In der Bibel gibt es eine Erfahrung, die viele von uns nicht gerne teilen: Es gibt das Gefühl, dass Gott uns verlassen hat. So betet ein Psalm, den Jesus am Kreuz nachbetet: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich schreie, aber deine Hilfe ist ferne. Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht, und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe." Psalm 22,2+3 Das Gefühl, dass Gott nicht immer als der liebende Gott, gerecht und gnädig erscheint, ist Teil des Glaubens an diesen Gott. Jesus macht das zu einem Grundbestand des Glaubens. Aber: Gott hat ihn nicht verlassen! Martin Luther spricht später von der Anfechtung. Die ist dem christlichen Glauben nicht fremd, im Gegenteil. Aber die Anfechtung behält nicht das letzte Wort.
Der Himmel ist also keine Belohnung, die wir - wie Schauspielerinnen und Schauspieler einen Oskar stolz präsentieren - als Auszeichnung am Ende hochhalten können. Der Himmel ist von Jesus Christus hart errungen, für uns, für Sie. Und dann ist es so, wie Jesus in der Bergpredigt sagt: "Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich." Matthäus 5,3
Drauf weise ich Sie hin, weil Sie in Ihrer Frage um Ihre Aufrichtigkeit ringen. Jeder Hintergedanke, den Sie fürchten, wird erträglich, wenn Sie ihn einmal wirklich denken und aussprechen. Denn es bleibt immer Gottes Liebe, die Sie schon hält und trägt, bevor Sie selbst ihn lieben können: "Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben." Johannes 3,16
Bitte genießen Sie diese Liebe und erwidern Sie diese Liebe mit einem festen Glauben und der Gewissheit, denn "weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. " Römerbrief 8,39 Diese bedingungslose Liebe, die mir allzu häufig fehlt, begegnet mir in meinem Glauben, wie ein großes Geschenk. Ich spüre, dass Gottes Liebe mir treuer ist, als mir manche anderen Gedanken einreden wollen.
Bleiben Sie behütet in Gottes Liebe und einem Glauben, der von der Gnade Jesu Christi erfüllt ist, Ihr Henning Kiene