Rufer in der Wüste?

oxiego

Sehr geehrte Fr. Pfrin. Scholl,
am Wochenende stieß ich auf Jesaia 40.3. Als Ankündigung von Eliah (Mal 3) und Jesus durch Johannes erscheint mir dies eine sehr zentrale Stelle in der Erfüllung der Messias-Ankündigungen.
Aber alle Evangelisten (vllt. mit Ausnahme v. Johannes) scheinen sie falsch zu zitieren - und reißen sie zudem aus dem Kontext.

In Jesaia 40.3 steht: "Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott!"
Luth 2017. Auch Schl2000, EÜ, und Elberfelder übersetzen dies so ähnlich: Es ruft eine Stimme - Komma/Doppelpunkt/Zäsur... - In der Wüste bereitet....

Die BB merkt hierzu an, es handele sich um eine Straße zw. Babylon und Jerusalem auf dem die Israeliten wieder nach Hause ziehen können - was m.E. auch Sinn macht im zeitlichen Kontext von Jesaja und insbesondere Deuterojesaja.

Doch alle Evangelien verschieben das Komma, so dass der Weg nicht in der Wüste gebaut wird, sonder der Rufer in der Wüste zum bauen des Weges auffordert.

Alleine bei Johannes zitiert Johannes d. Täufer dies so, dass man es als Referenz und nicht als wörtliches Zitat auffassen kann.

Dadurch wird die Bedeutung deutlich verschoben - denn dann kann Jes. 40.3 als konkrete Prophezeiung zu Johannes aufgefasst werden, der in der Wüste predigt. Während in Jes. jedoch etwas ganz anderes steht - ein Weg in der Wüste, ein Licht in der Verbannung.

Interessanterweise übersetzt die King James Bible Jes 40.3 analog zu den Zitaten im NT...

Mangels hebräisch Kenntnissen kann ich leider keinen Originaltext recherchieren - daher meine Fragen:
* Wie steht es denn in alten Texten von Jes? (Mit alt meine ich vor Christus)
* Hat die KJ vielleicht einfach nur die Prophezeiung in Jes 40 angepasst, damit sie zum NT passt?
* Wie wird erklärt, dass alle Evangelisten diese Passage falsch zitieren? Insbesondere Lukas und Matthäus sollten doch eigentlich die Schriften gut kennen - Johannes sowieso.
* Gerade auch von Johannes d. Täufer als Priestersohn würde ich ebenfalls eine präzise Tora-Kenntnis erwarten - meinte er es vielleicht tatsächlich eher als parallele zu der Prophezeiung von Jes. in dem Stil, "ähnlich wie der Herr euch aus Babylon geführt hat wird Jesus euch aus der Wüste führen und ich als Prediger in der Wüste verkünde euch das"?

mit freundlichen Grüßen
oxiego

Lieber Oxiego, 

Ihre ganz spezielle exegetische Frage kann eine mir bekannte Theologiestudentin, die sich sehr intensiv mit dem Alten Testament beschäftigt, viel besser und präziser beantworten als ich. Ich habe Sarah Döbler gebeten, sich mal Ihrer Frage zu widmen. Hier finden Sie die Antwort: 

Mit Blick in den hebräischen Text wird deutlich, warum die meisten Bibelübersetzungen "Es ruft eine Stimme: Bahnt in der Wüste JHWH einen Weg" übersetzen. Hebräische Sätze haben nicht wie im Deutschen oder anderen Sprachen Kommata, Punkte o.ä., sondern hebr. Sätze besitzen Zeichen ober- oder unterhalb der Wörter zur Verseinteilung, die dem Vers damit eine Struktur und auch Melodie geben.
So ist es auch in diesem Vers: Der erste Halbvers wird - durch ein hebr. Satzzeichen (sog. Zaqef katon)  oberhalb des hebr. Verbes (kore'/ es ruft) - in zwei weitere, kleinere Sinneinheiten unterteilt, sodass die erste Sinneinheit "Es ruft eine Stimme" ergibt und der zweite Teil mit "bemidbar (in der Wüste)" beginnt.

Nun kommt der exegetische Spaß an dieser Stelle, denn diese Verseinteilungen durch Satzzeichen stammen eigentlich aus dem Mittelalter, als sich hebr. Gelehrte gezwungen sahen, den ursprünglichen Konsonantentext mit Hilfe von Zeichen und Punkten "wieder" verständlich und zugänglich zu machen. Dabei trafen diese sog. Masoreten oftmals exegetische Entscheidungen, da manche Sätze mit anderer Punktierung eine ganz andere Aussage hätten. Diese Entscheidungen basieren allerdings häufig auf jahrhundertlange Traditionen, wie auch in diesem Vers, da ein Abgleich mit einem Fund aus den Qumranfragmenten diese Lesart als ursprünglichere Lesart bezeugt.

Dass die Evangelisten jedoch anders zitieren, kann daran liegen, dass sie nur die griechische Übersetzung des hebr. Originals kannten: die Septuaginta. Denn die Septuaginta unterteilt  den Vers an dieser Stelle so, wie die Evangelisten es haben. Dies kann mehrere Gründe haben:
1.Die Übersetzer haben einen Abschreibefehler an dieser Stelle begangen.
2. Die Übersetzer haben wissentlich in den hebr. Ursprungstext zur besseren Verständlichkeit eingegriffen und ihn angepasst.
3. Die Übersetzer passen den Ursprungstext mit der Abänderung an damals gängige jüdisch theologische Aussagen an.

Dass die Septuaginta an dieser Stelle die Bedeutung durch Ännderung verschiebt, kann mit der damaligen jüdischen Auslegungstradition zu tun haben. Denn der Text kann sowohl wortwörtlich als auch metaphorisch verstanden werden. In der Zeit nach dem babylonischen Exil mit Deportation war vmtl. die konkrete Hoffnung auf eine physische Rückkehr zum geliebten Jerusalem präsent, während im Laufe der Jahrhunderte sich die metaphorische Verwendung stärker durchgesetzt hat und der Ruf nach einem Erlöser und die Zuwendung JHWHs zu seinem Volk losgelöster vom tatsächlichen Jerusalem wurde. Diese Entwicklung kann in der jüdischen Rezeption u.a. in Midrasch und vmtl. auch in der Übersetzung der Septuaginta nachverfolgt werden.

Denn Übersetzung bedeutet immer auch Interpretation (und besitzt auch eine Machtpolitische Komponente).
Dass die King James Version sich am NT orientiert, ist vmtl. am Entstehungszeitraum der KJV geschuldet. Die aktuelle Ausgabe basiert auf der Originalübersetzung 1769, die wiederrum auf ener Version 158 Jahre früher zurückgreift. Zu der Zeit gab es ganz eigene Interessen, die Originaltexte zu übersetzen und die christliche Interpretation durch alttestamentliche Texte zu bestätigen und damit die Traditionen des Judentums herabzuwürdigen.

Herzliche Grüße, 

Sarah Döbler

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