Wie lautet die evangelische Sicht auf das Thema Vergebung?

M. B.
Jesus hält deine Hand
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Hallo Frau Scholl,

ich selbst bin katholisch getaufter Christ. Ich kann mich aber mit vielen Glaubensgrundsätzen der katholischen Kirche nicht identifizieren. Das war eher ein längerer Weg. Man ist ja auch, in dem Fall katholisch sozialisiert und wechselt die Konfession nicht wie das Hemd. Trotzdem möchte ich mich mit der evangelischen Sicht auf den Glauben auseinandersetzen. Wie sieht es hier mit Vergebung der Sünden, Beichte und dem Fegefeuer aus? Danke für ihre Zeit und viele Grüße.

Lieber Fragensteller,

vielen Dank für Ihre Zeilen und schön, dass Sie diesen Fragen nachgehen und sich für die konfessionellen Unterschiede interessieren.

Die katholische und evangelische Kirche gleichen sich darin, dass sie den Menschen als vergebungsbedürftig betrachten. Immer schon erlebt der Mensch sich getrennt von Gott, also als Sünder und bedarf der Vergebung. Die feinen Unterschiede liegen in der Frage, wie genau sich diese Vergebung beschreiben lässt. 

Luther hat sich besonders scharf gegen den Ablasshandel gewandt, der zu seiner Zeit zur ganz normalen Glaubenspraxis gehörte. Durch Zahlungen, die der Kirche zugute kamen, kauften Menschen sich gleichsam frei von ihrer Schuld. Luther hat dem vehement entgegengesetzt, dass der Mensch überhaupt nichts zur Vergebung dazutun könne, sondern dass die Vergebung allein aus Gottes Gnade (sola gratia), allein aus Glauben (sola fide) und allein durch Christus (sola Christus) geschehe. Die Vergebung ist ein Geschenk Gottes, das der Mensch sich durch nichts verdienen kann. 

Heute gibt es keinen Ablasshandel mehr. Davon hat auch die katholische Kirche sich schon längst verabschiedet. Aber bei aller wachsenden Ähnlichkeit gibt es im Blick der Vergebung weiterhin Unterschiede. Diese lassen sich beispielsweise mit Bezug auf den nächsten Themenkomplex, den Sie ansprechen, thematisieren, nämlich der Beichte. 

Die Sünde, in welcher der Mensch immer schon lebt, konkretisiert sich in schuldhaften Verstrickungen und Verfehlungen. In der Beichte erlangen Menschen Vergebung für die Verfehlungen, die sie bereuen. Bei katholischen Christinnen und Christen gehört die Beichte zur Pflicht. Das intensiviert natürlich die Rolle des Priesters und damit auch der Kirche rund um die Frage nach der Vergebung. Es braucht das Gegenüber eines kirchlichen Amtsträgers für die Vergebung der Sünden. 

Fälschlicherweise wird oft davon ausgegangen, dass Luther die Beichte abgeschafft hätte. Das stimmt nicht. Ihm war die Beichte sehr wichtig und auch heute gibt es noch die Beichte (entweder kollektiv im Gottesdienst oder als individuelle Beichte). Allerdings hat sie hier vor allem eine seelsorgliche Dimension. Wir Menschen brauchen nunmal manchmal ein Gegenüber und es tut manchmal gut davon zu reden, wo und wie wir schuldig geworden sind. Das Eigentliche, die Vergebung, geschieht aber nicht gleichsam mechanisch durch den Akt des Beichtens, sondern wer sich befreit fühlt, erlebt die Beichte als den Ausdruck einer Vergebung, die immer schon Wirklichkeit für ihn ist. Diese Wirklichkeit liegt in nichts begründet als im Sein Gottes und der Art und Weise, wie er sich in Jesus Christus mitten in die Welt begeben hat. 

Zuletzt interessiert Sie noch das Fegefeuer. Luther war erst von der Existenz des Fegefeuers überzeugt und hat es später vehement abgestritten, eben gerade weil darin so ein starkes Mittel liegt, den Ablass zu bewerben und Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen. Auch ein Großteil katholischer Christen würden heute nicht mehr von einem Ort mit Feuerzungen ausgehen, in dem Strafen verbüßt werden, sondern verstehen das Fegefeuer eher als ein Symbol für einen Umwandlungsprozess nach dem Tod, innerhalb dessen der Mensch christus- bzw. gott-fähig wird.

Wenn Sie mich als evangelische Christin fragen, würde ich sagen, dass ich ebenso wenig an einen solchen Ort der Strafe und des lodernden Feuers glaube. Womit ich aber durchaus etwas anfangen kann, ist der Gedanke des Gerichts. Ich glaube sehr daran, dass es ganz viel Uneingelöstes gibt, Leid, dass noch nicht gesehen wurde, Schuld, die noch nicht thematisiert wurde... und dass all dieses Ungehörte und Ungesehene irgendwann sichtbar werden muss. Ohne eine solche Vorstellung kann ich mir zumindest Seligkeit nur sehr schwer vorstellen. 

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit der Beantwortung Ihrer Frage weiterhelfen und wünsche Ihnen weiterhin so viel Neugier im Hinblick auf so grundlegende Fragen des Christentums. 

Herzlich

Katharina Scholl

 

 

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