Brutale Psalmen

Konstantin
Foto: epd-bild/Jens Schulze

Hallo Pastor Frank Muchlinsky,

ich lese seit knapp über einem Jahr recht regelmäßig (damit mein ich, dass ich Tage hab, wo es nicht geht, oder die Lust nicht danach ist und mal viele Seiten) die Bibel.

Ich finde das Lesen in der Heiligen Schrift tut mir gut. Aktuell bin ich bei den Psalmen. Es gibt aber so einige Stellen, wo ich ins Grübeln komme: Warum widersprechen sich so viele Psalmen mit der Botschaft von Jesus? Jesus meinte doch, dass man seinen Feind lieben sollte, für ihn beten, damit er auf den guten Weg wieder kommt und ihn nichts Schlimmes wünschen. Psalmen von David sind recht brutal und er wünscht, dass Gott sie (also seine Feinde) niederschmettern/zerreißen oder ähnliches mit ihnen tue.

Es geht mir nicht um die Brutalität, denn heut wie früher ist so was da und war vorhanden. Es geht mir darum, dass gewisse Psalmen mehr aus Wut und Rache getrieben sind und trotzdem drin stehen und im Widerspruch zur guten Nachricht stehen. Das ist mir so fremd, dass ich mich frage, warum so was in der Bibel überhaupt steht, denn Psalmen können als Gebete als Vorlage dienen oder als Gesang genommen werden.

Konstantin

Lieber Konstantin,

die Psalmen sind Gebete, die von Menschen geschrieben wurden, denen es teilweise ausgesprochen übel erging. Diese Menschen fühlten sich von anderen auf das Schlimmste bedrängt. Es geht also zuallererst darum, Gott sein Leiden zu schildern. Und oft haben wir Menschen das Gefühl, dass das Leid, das wir ertragen müssen, nicht vom Himmel fällt, sondern dass andere Menschen dafür verantwortlich sind. Darum rufen, ja schreien einige Beter in den Psalmen: „Vor all meinen Bedrängern bin ich ein Spott geworden, eine Last meinen Nachbarn und ein Schrecken meinen Bekannten. Die mich sehen auf der Gasse, fliehen vor mir.“ (Ps 31,12)

Die Psalmenbeter benutzen die Sprache der Bilder, um auszudrücken, wie schlecht es ihnen ergeht. Es geht nicht immer darum, eine Situation „nüchtern“ zu beschreiben, denn das Unglück ist so groß, dass die Beter alles andere als nüchtern davon reden könnten. Hier ein Beispiel für diese Bildersprache: „Gewaltige Stiere haben mich umgeben, mächtige Büffel haben mich umringt. Ihren Rachen sperren sie gegen mich auf wie ein brüllender und reißender Löwe.“ (Ps 22,13). Wer das geschrieben hat, wurde nicht tatsächlich von Stieren und Löwen umringt, sondern er nutzt dieses Bild um auszudrücken, wie sehr er sich von anderen bedrängt fühlt.

Wenn mir aber meine Mitmenschen wie Löwen und wütende Stiere erscheinen, wenn sie mir wie Feinde werden, weil ich mich so sehr von ihnen bedrängt fühle, dann werde ich mir wünschen, dass die besiegt werden, damit sie mich in Frieden lassen. Die Beter bleiben in ihrer Bildsprache, wenn sie rufen: „Hilf mir aus dem Rachen des Löwen / und vor den Hörnern wilder Stiere!“ (Ps 22,22). Ebenso ist es, wenn sie ihren „Feinden“ Übles wünschen: „Sie geben mir Galle zu essen und Essig zu trinken für meinen Durst. Ihr Tisch werde ihnen zur Falle, zur Vergeltung und zum Strick. Ihre Augen sollen finster werden, dass sie nicht sehen, und ihre Hüften lass immerfort wanken. Gieß deine Ungnade über sie aus, und dein grimmiger Zorn ergreife sie. Ihre Wohnstatt soll verwüstet werden, und niemand wohne in ihren Zelten.“ (Ps 69,22-26).

Ich kann verstehen, wenn Sie diese Sprache verstört. Die Bilder sind voller Zorn und Vergeltung. Ich möchte aber noch einmal deutlich machen, dass es um Bilder geht. Der Beter wünscht sich vor allem Gerechtigkeit, ein Ende des Leids und der Bedrängnis. Vielleicht kennen Sie das auch, dass in Situationen, in denen wir uns sehr ungerecht behandelt fühlen, wir unseren „Bedrängern“ das Übelste und Schlimmste an den Hals wünschen, was uns einfällt, weil sie eben uns gerade so übel und schlimm tun.

Übrigens hat Jesus auch ausgesprochen heftige Bilder gebraucht, wenn er davon sprach, wie Gott mit denen umgeht, die andere bedrängen. Zum Beispiel im „Gleichnis vom guten und bösen Knecht“ (Mt 24, 45-51): „Wenn aber jener als ein böser Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr kommt noch lange nicht, und fängt an, seine Mitknechte zu schlagen, isst und trinkt mit den Betrunkenen: dann wird der Herr dieses Knechts kommen an einem Tage, an dem er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und er wird ihn in Stücke hauen lassen und ihm sein Teil geben bei den Heuchlern; da wird sein Heulen und Zähneklappern.

Nicht zuletzt hat Jesus selbst einen Psalm gebetet, so heißt es in der Bibel, als er am Kreuz starb (Mk 15,34): „Und zu der neunten Stunde rief Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Das ist der Beginn des 22. Psalms, den ich oben zweimal zitiert habe.

Insgesamt ist die Sprache der Psalmen gerade durch ihren Bilderreichtum sehr geeignet, Menschen eine Sprache für eigene Gebete zu geben, denen angesichts ihres Unglücks einfach die Worte fehlen. Die „Stoßseufzer“, in denen darum gebeten wird, die „Feinde“ zu vernichten, halte ich für reinigend und nicht für einen Aufruf an Gott, tatsächlich meinen Nachbarn umzubringen und beispielsweise sein Grundstück zu verwüsten.

Herzliche Grüße

Frank Muchlinsky

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