In manchen christlichen Kreisen wird erwartet, dass man vor jedem Essen den Kopf senkt und so betet, auch als Bekenntnis zum Glauben in der Öffentlichkeit. Zu diesem Ritual konnte ich nie einen authentischen Bezug finden. Woher kommt dieser Brauch, wenn nicht aus der Bibel?
Liebe Monika,
der Brauch, vor dem Essen ein Tischgebet zu sprechen, kommt – wie so vieles im Christentum – aus der jüdischen Tradition. Es wird in der Bibel davon berichtet, dass Jesus zum Beispiel bei der „Speisung der 5000“ (Matthäus 14,19) und bei der Einsetzung des Abendmahls (Markus 14,22-23) den „Lobpreis“ über das Brot und über den Wein spricht. Damit ist eine „Bracha“ gemeint, die im Judentum sehr häufig gesprochen wird, unter anderem beim Essen und beim Trinken.
Eine Bracha über das Essen beginnt mit den Worten: „Gelobt seist du, Herr, unser Gott, König der Welt …“ (Auf Hebräisch בָּרוּךְ אַתָּה יְ‑יָ אֱ‑לֹהֵינוּ מֶלֶךְ הָעוֹלָם, gesprochen Baruch ata Ado-naj, Elohenu Melech Ha’Olam). Jesus hat diese Form des „Tischgebets“ selbst gesprochen. Bracha bedeutet „Segen“ und „Lobpreis“, es ist also gleichzeitig ein Segen über die Speisen und ein Dank an Gott dafür, dass man genügend hat. Ein Bekenntnis ist das Tischgebet also eher nicht.
Natürlich wird ein Tischgebet, das man in der Öffentlichkeit spricht oder auch nur durch die Körperhaltung andeutet, zu einem Bekenntnis des Glaubens, und ich kann verstehen, dass es Ihnen nicht behagt, in dieser Form öffentlich zu beten. Ich schlage Ihnen darum vor, dass Sie in einer öffentlichen Situation, in der die anderen am Tisch ihre Hände falten und die Köpfe senken, selbst einfach still einen Dank sagen. Zum Beispiel: „Gelobt seist Du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der die Erde Brot hervorbringen lässt.“
Herzliche Grüße!
Frank Muchlinsky
P.S. In einer Bildergalerie machen wir weitere Vorschläge für Tischgebete.