Muss man beim Streiten immer "brav" bleiben?

Diana
Zwei Frauen diskutieren an Weihnachten
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Wenn mein Mann und ich uns streiten, versuche ich immer, alles “richtig zu machen”: Schön von mir selbst reden (“Ich empfinde es so, dass du unfreundlich bist”) und schön immer spiegeln, was bei mir ankommt (“Ich höre, dass es dich stört, dass”). Das Ganze hilft mir aber nicht, um meine Wut loszuwerden, die sich in einem Streit ja nun mal aufstauen kann. Darf ich denn nicht mal einfach geradeheraus sagen: “Du bist ein Arsch!” (und nein, nicht abmildernd: Du benimmst dich wie ein Arsch). Das ist so schön entlastend. Wo sollte ich sonst hin mit meiner Wut, wenn ich nun mal in dem Moment richtig sauer bin?

Liebe Diana,

es ist sehr wertzuschätzen, dass Sie sich um eine gute Streitkultur bemühen. Allerdings haben viele Tipps zur Kommunikation einen Haken: sie greifen zu kurz. Ein gelingendes Miteinander entsteht nach dem von mir beschriebenen WIR- Prinzip durch gegenseitige Entlastung.  Ärger und Wut können dabei durchaus zutage treten, aber nach Möglichkeit so, dass das Gegenüber damit zurechtkommt. Verbale Gewaltlawinen will und braucht keiner, kraftvolle Worte brauchen wir zur Entlastung manchmal durchaus...

War Jesus ein Leisetreter? Nein. War Luther ein Softie? Oh, nein. Ist eine Frau Käßmann in der Öffentlichkeit bekannt durch ihre angepasste Sanftheit? Wieder: nein. Wir sind in guter Gesellschaft, wenn wir ärgerlich sind, hilflos vor Zorn, aufgebracht und enttäuscht. Ja, wir alle haben Grund dazu, privat wie öffentlich, heute mehr denn je. Also raus mit den Emotionen. Unbedingt! Lieber einmal kräftig gebrüllt als stundenlang geschmollt.

Und jetzt bin ich ganz unverblümt: Die von Ihnen beschriebenen Ich- Botschaften sind leider keine, sie fangen nur mit „Ich“ an. Die Du- Aussagen danach sind wieder Vorwürfe und machen vielleicht gerade durch ihre bemüht freundlich-pädagogische Art aggressiv. Sie und Ihren Mann auch.

Mein Tipp: Spüren Sie Ihre Wut, geben Sie ihr Raum. Entweder Sie verlassen die Szene und machen sich im Nebenraum Luft. Wenn Sie bleiben, sind im Gespräch Sätze wie: „... bitte lass mich jetzt mal laut sein, ich bin so sauer, ich ärgere mich, ich koche innerlich, ich werde verrückt vor Wut...“ wirkliche Ich- Botschaften ohne Angriffe. Wenn es vorbei ist, sagen Sie einfach „danke für's Aushalten“.

Und dann gehen Sie (gerne auch gemeinsam mit Ihrem Mann) auf Erkundungstour, denn die Gefühle, die Sie eigentlich haben, werden überdeckt von den Adrenalintreibern Wut, Ärger und Groll. Dahinter verbergen sich nämlich Ihre Enttäuschung, Hilflosigkeit und Angst. Und noch weiter dahinter verstecken sich Bedürfnisse wie z.B. der Wunsch nach Respekt, nach ineinandergreifendem Leben und Arbeiten, nach Unterstützung, Rücksicht und nach vielem mehr. Sprechen Sie mit Ihrem Mann über Ihre Bedürfnisse und gleichen Sie die Ihren mit seinen Wünschen ab. Hören Sie sich gegenseitig gut zu, wenn Sie auf die Suche nach Ihren wirklichen Bedürfnissen gehen. Wetten, dass Sie beide auf diese Art relativ stressfrei auf einen gemeinsamen Nenner kommen?

Ich wünsche Ihnen konstruktive Auseinandersetzungen, denn die bringen nicht nur Entlastung, sondern auch Nähe!

Herzlich

Ihre Heike Bauer-Banzhaf

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