Darf man immer um Vergebung bitten?

Anonym
Mann betet vor Sonnenuntergang
Getty Images/iStockphoto/ImagineGolf

Hallo Priester,

ich habe eine Frage. Was passiert, wenn man mehrere Sünden begangen hat, bei denen verschiedenste Menschen hohen finanziellen Schaden erlitten haben aber man nicht in der finanziellen Lage ist, den Schaden wiedergutzumachen?

Kann man dennoch um Vergebung bitten?

Hallo Anonym!

Wo fange ich an? Vielleicht so: Ich bin Pfarrer aber kein Priester. Das heißt, ich bin evangelisch und nicht römisch-katholisch oder orthodox. Das könnte einen Unterschied bei Ihrer Frage für Sie machen, darum erwähne ich es. Ich spreche nicht mit der Autorität eines Priesters, sondern als Theologe und ordinierter Pfarrer der evangelischen Kirche.

Nun zu Ihrer Frage: Wenn wir uns schuldig machen, kann es durchaus vorkommen, dass wir diesen Schaden nicht wiedergutmachen können. In Ihrem Fall reicht das Geld nicht, aber es kann auch vorkommen, dass wir anderen Menschen so schaden, dass eine Tilgung ohnehin unmöglich ist. Von dem römischen Priester Philipp Neri, der im 16. Jahrhundert lebte, wird folgende Geschichte überliefert:

Die vornehme Frau Contessa Bianchi beichtete bei Philipp, dass sie immer wieder Schlechtes über Mitmenschen gesprochen habe. Zur Buße schickte er sie auf den Markt, sie solle ein Huhn kaufen und zu ihm bringen, es auf dem Weg aber sorgfältig rupfen. Schon am nächsten Tag kam die Frau mit dem völlig federlosen Tier und bekam nun die Aufgabe, die unterwegs verstreuten Federn einzusammeln; empört wies die Dame darauf hin, das sei unmöglich, der Wind habe die Federn inzwischen über ganz Rom verteilt. "Das hättest Du vorher bedenken müssen", antwortete Philipp, "denn so wie du die Federn nicht wieder aufsammeln kannst, so kannst du auch die einmal ausgesprochenen bösen Worte nicht wieder zurücknehmen." (Quelle: Ökumenisches Heiligenlexikon)

Wiedergutmachen ist also häufig unmöglich. Aber Sie fragten ja, ob man um Vergebung bitten darf. Da frage ich zurück: Bei wem möchten Sie um Vergebung bitten? Bei den Menschen, die Sie geschädigt haben? Oder bei Gott? Das macht einen großen Unterschied, denn wenn Sie die Opfer Ihrer Taten um Vergebung bitten, kann das für die eine Überforderung bedeuten. Was Sie tun können, ist ihnen zu sagen, dass es Ihnen aufrichtig leidtut – wenn das denn auch stimmt. Aber bitten Sie nicht im selben Atemzug um Vergebung!

Anders ist das bei Gott. Gott können Sie selbstverständlich immer um Vergebung für Ihre Schuld bitten. Das ist ja gerade das Besondere an unserem Glauben, dass wir wissen und uns eingestehen, dass niemand von uns durch das Leben gehen kann, ohne Schuld auf sich zu laden, und dass wir dennoch Gott um Vergebung bitten dürfen, selbst wenn wir die Schuld nicht wiedergutmachen können. Auch hier gilt natürlich, dass Sie es ernst meinen müssen und dass Sie beschließen, das, wofür Sie um Vergebung bitten, nicht wieder zu tun.

Wenn es Sie erleichtert, gehen Sie zur Beichte und lassen Sie sich von Ihrer Sünde lossprechen. Das können Sie auch bei einer oder einem evangelischen Geistlichen tun.

Alles Gute für Sie!

Frank Muchlinsky

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