Guten Abend Herr Muchlinsky,
Auszüge aus einer Predigt, die mich sehr nachdenklich gemacht hat, ich zitiere :"Ruth sagt zu Noomi (Naomi): (...) "Ich lasse Dich nicht allein. Wohin Du gehst, dahin gehe ich auch. Wo Du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk und Dein Gott ist mein Gott. Wo Du stirbst, da will auch ich sterben. Dort will ich begraben werden. Wenn man es genau nimmt, haben Ruth und Noomi geheiratet. Jedenfalls haben sie sich die Worte zugesprochen, die seit vielen Jahrhunderten Trauungen zwischen Männern und Frauen zugesprochen werden. Das ist ein Trauversprechen, das sich die beiden Frauen schon in der Bibel gaben. Und küssen tun sie sich auch. Wie bei einer richtigen Hochzeit. Auch für Bibelkenner*innen der damaligen Zeit war klar: Ruth und Noomi waren ein Ehepaar. Und die Geschichte von Ruth und Noomi endet noch überraschender. Sie endet, wie man heute sagen würde, in einer Regenbogenfamilie: Boas, Ruth und Noomi versorgen das Kind mit Namen Obed." Aus diesem Blickwinkel habe ich das Buch Ruth noch nie gelesen. Wie sind Ihre Gedanken dazu?
Viele Grüße
Marita Wallbaum
Liebe Frau Wallbaum,
ich habe Ihre Frage an Melanie Köhlmoos weitergegeben. Sie ist Professorin für Altes Testament an der Goethe-Universität Frankfurt und eine Spezialistin für das Buch Ruth. Sie hat einen Kommentar dazu im ATD (Das Alte Testament Deutsch) veröffentlicht. Was sie schreibt, leuchtet mir sehr ein. Ich hoffe, Ihnen gefällt es auch.
Herzliche Grüße!
Frank Muchlinsky
Liebe Frau Wallbaum,
aus heutiger Praxis, in der der Schwur der Ruth als Trauversprechen verwendet wird, ist es möglich, ihn so zu lesen. In der feministischen Exegese und in der Queer-Community wird das auch häufig so getan.
Vom Text selbst her - also vom ganzen Buch in seiner Entstehungszeit - würde ich etwas Vorsicht walten lassen. Zu biblischen Zeiten war der Text kein Heiratsversprechen. Überhaupt gibt es das biblische Trauversprechen samt Trauspruch noch gar nicht so lange, wahrscheinlich erst seit dem 19. Jahrhundert.
Im Kontext des hebräischen Alten Testaments gibt Ruth das Versprechen, das Gott und sein Volk sich am Sinai geben: "Ihr sollt mein Volk sein und ich will euer Gott sein", d.h. die Ausländerin Ruth ordnet sich freiwillig in Gottes Volk ein. Noch heute wird im Judentum der Schwur der Ruth nicht bei Trauungen gesprochen, sondern beim Übertritt zum Judentum.
Das schließt nicht aus, dass Ruth und Naomi als oder wie ein Ehepaar gedacht werden. Sie küssen sich im Text allerdings nur, als Noomi die beiden Schwiegertöchter verabschieden will. Man küsst sich in Israel immer zum Abschied. Auch nennt Naomi die Ruth durch das ganze Buch hindurch "meine Tochter" und sie handelt auch wie eine Mutter: Sie sorgt dafür, dass Ruth einen Mann bekommt.
Andererseits hören wir von Boas am Ende kaum mehr, als dass er das Kind Obed zeugt, das Naomi und Ruth dann versorgen. Und die Frauen von Bethlehem sagen, dass Ruth die Naomi mehr geliebt hat als sieben Söhne. Insofern ist die Regenbogenfamilie gar kein schlechter Vergleich.
Nach meinem Dafürhalten ist das Ruth-Buch eine Geschichte von einem sehr engen Verhältnis zweier Frauen, die erstens nicht verwandt sind und zweitens aus zwei unterschiedlichen Kulturen stammen. Auf dem letzten Aspekt liegt für den Text m.E. der Schwerpunkt. Da wir aber schlicht nichts darüber wissen, wie das Alte Israel zu Beziehungen zwischen Frauen stand, ist eine "queere" Lesart plausibel.
Ein sehr lesenswertes Buch dazu ist dieses: Pardes, Ilana, Krüger, Christa , Das Buch Ruth: Geschichte einer Migration
Mit freundlichen Grüßen
Melanie Köhlmoos