Kann man für Verstorbene beten?

Sandra Mausberg
Foto: Arne P. Boettger/photocase

Lieber Herr Muchlinsky,

mich beschäftigt grade sehr die Frage, ob meine Gebete für meine verstorbenen Eltern ihnen noch helfen können.
Beide lehnten den Glauben an Gott ab; von meinem Vater erzählt man sich noch heute, er sei nur insgesamt zwei mal in einer Kirche gewesen: Bei seiner Taufe und bei seiner Beerdigung. Tatsächlich ist er damals nicht einmal zu meiner Konfirmation in die Kirche gekommen...
Meine Mutter neigte zu Gewaltausbrüchen gegen mich und lies mich in einen Maß verwahrlosen, dass ich mit sechs Jahren fast starb und lange im Krankenhaus liegen musste. Mein Vater griff nicht in ihre "Erziehung" ein.
Trotzdem glaube ich, dass meine Eltern keine wirklich "bösen" Menschen waren, eher überfordert und als Kinder selber vom Krieg traumatisiert und mit ihrem Erlebten ein Leben lang allein gelassen.

Leider war ich zu Lebzeiten meiner Eltern nicht in der Lage ihnen zu vergeben; zu schwer war mir, was sie mir in mein Leben mitgaben. Ich bin mir sicher, dass es Jesus war, der mir dabei half, Verständnis für meine Mutter und meinen Vater zu finden und ihnen zu vergeben. Somit konnte ich auch einen Großteil der Bitterkeit meines Lebens verlieren. Gern stelle ich mir vor, dass wir uns im Himmel wiedersehen, wo auch ihre Seelen von allem Schmerz geheilt sind und wir endlich einander liebend begegnen können. Ich bin von dem Gedanken ausgegangen, wenn ich als winziges, unbedeutendes Menschlein vergeben kann, um wie viel mehr kann es dann Gott?
Jedoch hat mich eine Frau in der Gemeinde darauf aufmerksam gemacht, dass das so nicht funktioniere. Wenn selbst Menschen, die zu Jesus sagen: Herr!, Herr!" nicht mit Sicherheit ins Himmelreich kämen , dann wohl erst recht keiner, der Jesus nicht zu Lebzeiten angenommen habe. Und im Gleichnis vom armen Lazarus und dem reichen Kerl stehe ja auch, dass da nach dem Tod eine unüberbrückbare Kluft sei zwischen Himmel und Unterwelt, so dass meine Gebete für meine Eltern diese jetzt auch nicht mehr retten würden.
Im Moment liege ich gefühlsmäßig zwischen Tränen und Trotz. Einerseits klingt es richtig und biblisch belegt, was die Frau mir da gesagt hat, anderseits hat doch Jesus zugesichert: Bittet, so wird euch gegeben. Und ich möchte die Seelen meiner Eltern geheilt und gerettet wissen...


Können Sie mir wohl ein wenig mehr Licht in die Sache bringen? Ich bin grade einfach nur traurig und verwirrt.Herzlichen Dank im Voraus und liebe Grüße,
Sandra M.

Liebe Frau M.,

was Sie schreiben, ist sehr berührend. Wie Sie selbst sagen: Es fällt uns Menschen so schwer zu vergeben. Da ist es eine große Sache, dass Sie das bei Ihren Eltern geschafft haben. Ich teile Ihre Ansicht, dass Gott unendlich viel mehr vergeben kann, als wir Menschen es können. Und ich teile auch Ihre Hoffnung, dass er das am Jüngsten Tag tun wird. Die Bibel hat Unterschiedliches über das Jenseits zu sagen. Die Vorstellung einer Unterwelt ist dabei eher die Ausnahme.

Vielleicht hilft Ihnen die Geschichte von Jesus und der Frau weiter, die beinahe gesteinigt worden wäre, weil man sie beim Ehebruch ertappt hatte. Als Jesus den Leuten, die um sie herumstehen sagt, dass derjenige den ersten Stein werfen solle, der ohne Sünde sei, gehen sie alle weg, und Jesus fragt die Frau: „Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt?“ Sie antwortete: „Niemand, Herr“ Darauf Jesus: „Jesus aber sprach: So verdamme ich dich auch nicht“ (Joh 8,10-11). Jesus geht es nicht darum zu verdammen. Wenn Sie Ihren Eltern vergeben, wer sollte dann noch Ankläger sein? Jesus? Der Jesus, der alle Schuld der Welt auf sich nahm und für uns am Kreuz starb? Der soll kleinlicher sein als wir Menschen es sind? Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

Ja, wir wissen es nicht, ob wir ins Himmelreich kommen oder nicht. Wir können uns nicht sicher sein, und wir sollen uns auch nicht sicher sein, denn das würde uns träge und selbstgerecht machen. Es würde uns aufblähen wie alle, die sich allzu sicher sind, auf der richtigen Seite zu stehen. Aber wir dürfen hoffen. Wir dürfen für uns selbst hoffen und für alle anderen auch, und wir dürfen uns hoffnungsvoll an Gott wenden im Gebet. Was sollte Gott mehr erfreuen als wenn wir es so meinen, wenn wir beten: „… wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!“

Darum: beten Sie weiter! Denn auch das sagte Jesus: „Betet! Betet wie jemand, der mitten in der Nacht etwas von einem Freund haben will. Betet wie eine Frau, die einen Richter Tag für Tag mit ihrem Anliegen in den Ohren liegt.“ Ich wünsche Ihnen Frieden – für Ihre Seele und für Ihr weiteres Leben.

Ihr Frank Muchlinsky

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