Wie kann man mit dem Gefühl umgehen, dass Gott fern ist?

Erich Jais
Frau steht auf Terrasse und schaut in die weite Landschaft.
Marcos Paulo Prado/Unsplash

Gottferne-
Was kann das für den glaubenden Menschen bedeuten?
Ich denke an Ps 22.
Danke!

Lieber Herr Jais,

die Bibel kennt Erzählungen von Gottes Nähe, in denen Gott sich zeigt, dem Menschen nahe kommt, ihn errettet - das sind die Geschichten, die im Volk Israel von Generation zu Generation weiter erzählt werden, vom rettenden Gott, einem Gott, der mitgeht- durchs Meer, in die Wüste und auf den das Volk vertraut.

Die Bibel kennt Erzählungen und Klage darüber, dass Gott verborgen und fern bleibt. Aus dieser Not heraus wird der 22. Psalm gebetet. "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bleibst fern meiner Rettung, den Worten meines Schreiens?" Es betet einer, der das nagende Gefühl kennt, dass Gott sich von ihm abgewandt hat, ihm eine Antwort schuldig bleibt, ja seine Not, seine Todesangst überhaupt nicht bemerkt.

Doch es bleibt nicht bei diesem Gefühl. Der Betende macht etwas mit seiner Verlassenheit: Er betet zu Gott - lässt nicht von ihm ab, trotz der Zweifel, ob Gott ihn überhaupt noch erhört. Er hält sich selbst die Erzählungen Gottes vor Augen, der sein Volk nicht im Stich lässt:

"Dir haben unsere Väter vertraut, sie haben vertraut und du hast sie gerettet. Zu dir riefen sie und wurden befreit, dir vertrauten sie und wurden nicht zuschanden." Er lässt sich aus der Erfahrung seiner Vorfahren vergewissern. Diese Suchbewegung ist auch vielen gläubigen Menschen heute nicht fern: wenn Gott sich fern anfühlt, wenn man keine Worte auf den Lippen trägt um von seinen alltäglichen Erfahrungen mit Gott zu berichten- dann kann es gut tun, ein Lied mitzusingen, ein Gebet mitzusprechen, eine Predigt zu hören, die von Gottes Nähe erzählt.

In den Momenten der gefühlten Verlassenheit bleiben diese Suchbewegungen ein Ausdruck des Glaubens. Eine Suchbewegung, die uns Augen und Ohren offenhält für Gottes Wirken in der Welt.

Eine kleine Geschichte zur Gottoffenheit:

Zwei Männer treffen sich in einer Bar, der eine religiös, der andere Atheist und sie kommen ins Gespräch darüber, ob Gott existiere. Der Atheist erzählt, dass er ja nicht ohne Grund sage, es gebe keinen Gott. Auch er habe schon zu Gott gebetet - also mit der Existenz Gottes experimentiert. Vor gar nicht langer Zeit, sei er in einem gefährlichen Schneesturm geraten und sei vom Weg abgekommen. In blanker Panik sei er auf die Knie gefallen und habe Gott angefleht ihn aus dieser Situation zu erretten. Darauf der religiöse Mann: „Du sitzt ja nun quicklebendig mit mir an der Bar, dann hat Gott dich ja errettet!“ Der Atheist schaut ihn konsterniert an, schüttelt den Kopf und erwidert: „Quatsch, es waren Inuit, die mich gefunden und zurück gebracht haben. Purer Zufall!“

Mir zeigt diese Geschichte, wie unterschiedlich wir Menschen unsere Erfahrungen deuten und welchen Sinn sie für uns bekommen können. Der religiöse Mensch sieht die Welt mit Augen, die offen sind für Gottes Wirken - er lässt sich das Vertrauen nicht nehmen, dass Gottes Nähe nicht so daherkommen muss, wie wir sie uns vielleicht ausmalen.

Herzliche Grüße!

Maike Weiß

 

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