Jesaja 40,4 - Übersetzungsfragen

A. Radel
Foto: Getty Images/iStockphoto/oneclearvision

Sehr geehrter Herr Muchlinsky,
bei meiner Frage geht es um Jes 40,4. Vielleicht können Sie mir weiterhelfen.
In Lutherausgaben der Bibel vor 1912 steht:
"... und was höckericht ist, soll 'schlecht' werden."
In der revidierten Fassung der Lutherbibel von 1912 steht:
"...und was höckericht ist, soll 'schlicht' werden."
In der revidierten Fassung seit 1964 (AT) bis heute steht:
"... und was hügelig ist, soll 'eben' werden."
Ist "schlecht" ein Druck- oder Übersetzungsfehler, der dann 1912 in "schlicht" verbessert wurde? Und kommt "eben" dem Urtext näher als "schlicht"?
Oder hat das hebräische Wort mehrere Bedeutungen?
Soweit meine Frage. Vielen Dank für Ihre Mühe!
Mit freundlichem Gruß, A. Radel

Liebe Frau/lieber Herr Radel,

da haben Sie ja Spannendes zutage gefördert! Hier kommt, was ich herausgefunden habe: Das "schlecht" in der Ausgabe von 1912 ist kein Druckfehler. Es steht so bereits in der Lutherbibel von 1545. Hier können Sie die Stelle nachlesen. Luther benutzte hier anscheinend "schlecht" in einer Bedeutung, die das Wort bis ins 15. Jahrhundert hatte. Hier ein Eintrag aus dem Wörterbuch "Wiktionary":

"(schlecht) Herkunft: althochdeutsch und mittelhochdeutsch sleht „geradeaus, schlicht, einfach, gut“, seit dem 15. Jahrhundert das Gegenteil „nicht gut“, in manchem Kompositum aus dem 17. Jahrhundert mit der ursprünglichen Bedeutung erhalten." (Hier der Link zum ganzen Artikel)

Da sich die Bedeutung von "schlecht" im Laufe der Zeit anscheinend vollkommen in ihr Gegenteil gewandelt hat, haben diejenigen, die an der Revision der Lutherbibel von 1912 beteiligt waren, durch eine minimale Änderung im Text den eigentlich gemeinten Inhalt wiederhergestellt: Aus schlecht wurde schlicht, also wieder "einfach, eben".

Im Hebräischen steht an dieser Stelle "l ə·ḇiq‘ āh". Das kommt dem "eben" aus der heutigen Übersetzung sehr nah. Der Vers 4 besteht aus vier Aussagen, von denen jeweils zwei aufeinander bezogen sind: Täler werden hoch – Berge werden niedrig. Unebenes wird gerade – Hügeliges wird eben. Es ist also streng parallel formuliert. Das Gegenteil von Hügelig (oder "höckericht" ist nun einmal "eben".

Herzliche Grüße

Frank Muchlinsky

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