Lutherische Privatmesse?

Paul

Liebe Pia Heu et al.,

vor einiger Zeit habe ich hier mal aus meiner katholisch geprägten Perspektive einige Fragen gestellt zum Thema der Eucharistie aus protestantischer Sicht, vor allem wer bei den Protestanten der gültige Spender derselben ist, weil ich die protestantische Grundideen schon interessant fand. Das hat mich interessiert, aber auch beschäftigt und da ihr sicherlich viel zu tun habt und nicht alles schnell und umfangreich beantworten könnt, habe ich einen Wissensdrang verspürt und mir einige aufgeworfene Fragen selbst beantwortet und so einiges Faszinierendes am Protestantismus entdeckt, was mich wirklich überrascht hat und über vieles nachdenken lässt, aber eine ziemlich kuriose Frage dabei bleibt, sodass ich gern meine ursprünglichen Fragen, die sich erledigt haben, auf eine spezielle Frage hin präzisieren möchte und hoffe, dass sie vielleicht jemand beantworten kann.

Zum Stillen meines Wissensdrangs war ich in einer theologischen Bibliothek und habe mir einige Schriften von Theologen des Konvents Augsburgischen Bekenntnisses durchgelesen, die also aus dem Luthertum stammen und ich hoffe, ich habe es grundlegend richtig verstanden. Die Lutherische Messe im Vergleich zur katholischen betont ganz klar den Mahlcharakter der Feier und lässt dabei höchstens geistige Opfer in Form von Verherrlichung Gottes und Gebet gelten. Nach Lektüre der frühen Kirchengeschichte scheint dieses rein geistige Opfern auch die ursprüngliche Haltung der frühen Christenheit und der apostolischen Väter bei diesem Sakrament zu sein. Nachdem nämlich der Mensch durch die Erbsünde gefallen war, wurden Gott verschiedenste aber unvollkommene Opfer dargebracht. So wurden im alten Bund (Tier)Opfer geschlachtet (geopfert) und die daraus entspringende und erwirkte Gnade und Gabe im Mahl genossen. Durch das einmalige Opfer Christi am Kreuz wurde der neue Bund begründet und ein erneutes Schlachten (Opfern) des vollkommenen göttlichen Opferlamms Jesu ist nicht mehr notwendig und auch nicht möglich, da seine Gnaden und Früchte zum Heil alles überragend und ultimativ sind, die aber im Mahl des himmlisch-verklärten Leibes Jesu, also dem Abendmahl, den Gläubigen u.a. zum Glauben und zur Vergebung der Sünden zum Genuss und als Gnadenmittel dargeboten werden, sodass sich für Luther der Gedanke des katholischen Messopfers als mit dem Kreuzesopfer identisch ganz klar verbietet und er es eine Lästerung an diesem heiligen Sakraments nennt.

Auch das allgemeine Priestertum aller Gläubigen, des Volkes, wird bereits im alten Bund gefunden, aber unvollkommen durch den Bundesbruch, sodass durch göttliche Anordnung das levitische Priestertum es durch Opfer erhalten muss. Durch Christi ultimatives Opfer ist schließlich das levitische Priestertum nicht mehr notwendig und das Priestertum aller Gläubigen kann seine volle Wirkung entfalten. Ein menschlicher Mittler wird nicht mehr benötigt und jeder hat unmittelbar Zugang zu Gott, kann vor ihn treten und kann durch geistige Opfer des Lobes, Gebetes und Verherrlichung wie auch Verkündigung Gottes und Selbsthingabe als Priester wirken. Diesem allgemeinen sacerdotium steht nun das von Gott eingesetzte ministerium, also das geistliche Amt, zur Zurüstung des sacerdotium gegenüber. Befähigt durch das allgemeine sacerdotium werden somit Christen in das geistliche Ministerium zur Verkündigung des Wortes und zur rechten Verwaltung der Sakramente berufen (rite vocatus), aber nicht wie die katholischen Kollegen durch eine Weihe ontisch verändert. Dieser Auftrag gilt jedoch publice für die Kirche. Der Schluss daraus und aus dem allgemeinen sacerdotium ist der, dass ein jeder getaufte Christ, Inhaber des sacerdotium, die Schrift private interpretieren, über die Lehre urteilen, das Wort verkünden und Sakramente spenden kann, oder auch publice, wenn ein Träger (rite vocatus) des geistlichen Ministeriums fehlt. Die kuriose Frage geht dahin, ob ein einfacher Christ also alleine die Lutherische Messe feiern kann (was aus dem katholischen Bereich ja bekannte Praxis ist), fällt sie doch mangels publice nicht unter das geistliche Ministerium.

Zur wirksamen Feier der Lutherischen Messe/Abendmahl, die Luther als actio sacramentalis begreift, in welcher Christi Leib und Blut einheitlich, himmlisch, wahrhaft und jedenfalls in usu (danach sehr strittig) gegenwärtig sind, nennt Luther, so glaube ich verstanden zu haben, gemäß der Einsetzung Jesu in der Schrift drei Dinge als Voraussetzung: Institutio durch den Einsetzungsbericht, distributio an diejenigen, die speisen wollen, und sumptio, also den Verzehr. Er wendet sich damit besonders gegen den römischen Opferkult, um zu verhindern, dass "Abgötterei" mit dem Sakrament getrieben werde, da es nach der Schrift und seiner Ansicht nach nur zur Nießung, höchstens noch zur Verehrung in diesem usu, durch die Gläubigen da sei. In einer Schrift über die Winckelmesse sagt er klar, dass Pfarrherren, die den Gläubigen die Heiligen Gaben vorenthalten, nicht rite das Abendmahl feiern und so nur Brot oder Wein zu sich nehmen. An anderer Stelle aber ermahnt er Priester, die alleine das Sakrament feiern, dieses nach seiner oben genannten rechtgläubigen Ordnung zu tun, wobei er die distributio dann auf den allein feierenden rechtgläubigen Priester bezieht ebenso wie die sumptio, sodass er so ein wahres Sakrament erhalte. Da dies etwas uneinheitlich ist und Luther auch nicht unfehlbar wie der Papst, also die Frage: Ist eine Lutherische Privatmesse damit durch Christgläubige, die ja das sacerdotium besitzen und die vere credentes sind, möglich und ist damit diese distributio an sich selbst als solche anzusehen? Die Nießung dieses besonderen Sakraments, gerade wenn es in manchen protestantischen Gemeinden, ja entgegen der wohl eig. Intention Luthers, nicht immer ganz so häufig gefeiert wird, könnte ja, da es Gnadenmittel ist, für den einzelnen doch sehr segensreich, tröstend und erbauend wirken in der Begegnung mit Gott auch private, wenn andächtig und würdig vollzogen, und wenngleich natürlich die Feier des Sakraments in Gemeinschaft bei Möglichkeit immer vorgezogen werden sollte.

Liebe Grüße!

Lieber Paul,

 

ich danke Ihnen vielmals für Ihre sehr ausführliche und unglaublich spannende Frage. Sie haben sich wirklich umfassend in die lutherische Sakramentenlehre (damit auch in seine Ekklesiologie und sein Amtsverständnis) eingelesen. Ihre Frage, die Sie ganz am Schluss stellen (ich füge sie hier nochmals ein, damit klar ist, wozu ich schreibe) 

Ist eine Lutherische Privatmesse damit durch Christgläubige, die ja das sacerdotium besitzen und die vere credentes sind, möglich und ist damit diese distributio an sich selbst als solche anzusehen?

beantworten Sie, meines Erachtens, bereits selbst. Es gibt keine eindeutige lutherische Position zu dieser Frage. Jegliches Urteil, das wir fällen, ist lutherisch und hängt von dem ab, was wir als schlüssig betrachten. Zudem hat sich Luthers Position zum allgemeinen Priestertum aller Gläubigen über die Jahre seines theologischen Nachdenkens durchaus verändert. Wir finden in frühen Schriften also eine andere Position als in späteren Schriften (tendenziell war er zu Beginn noch strenger in seinem ekklesiologischen Verständnis als später).

Ich finde jedoch, dem lutherischen Dreischritt folgend, die Argumentation schlüssig, dass eine luth. Privatmesse nicht möglich ist. Es braucht die distributio an die Gemeinde, also das, was Luther als "unsichtbare Kirche" bezeichnet für eine "Messe", die wir heute ja als Gottesdienst bezeichnen. Aber das können Sie ganz anders sehen. Beide Ergebnisse sind lutherisch begründbar.

Bleiben Sie fleißig dabei und denken Sie über theologische Fragen nach. Es lohnt sich.

Alles Gute Ihnen,

Pia Heu  

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