Sehr geehrter Herr Muchlinsky,
als unsere Auslandsgemeinde einen neuen Pfarrer bekam, führte er einige Änderungen in der Liturgie durch. U.a. nennt er die Kollekte Dankopfer und, daraufhin angesprochen, bestätigte er mir, dass er den Opfergedanken betonen will.
Nach meinem Verständnis enthält "Opfern" immer den "do,ut des"-Gedanken, also man opfert, weil man etwas erreichen möchte. Das widerspricht meiner Auffassung nach der freien Gnadenzusage Gottes.
Ich habe in meiner über 40-jährigen Kirchenzugehörigkeit nie bewusst geopfert, und, ehrlich gesagt, ist mir der Gedanke, dies tun zu sollen, zuwider. Daher meine Frage: Gibt es in einem evangelischen Gottesdienst eine Opferhandlung?
Freundliche Grüße
Oliver Dahlmann
Lieber Herr Dahlmann,
Danke für Ihre Frage! Ich kann es gut verstehen, wenn Sie der Begriff des "Opfers" irritiert und zum Widerspruch reizt.
Daher ist es vielleicht ganz gut, auf diese Irritation so besonders sachlich wie möglich zu schauen und den Begriffen auf den Grund zu gehen.
Während "Kollekte" vom Verb "colligere" (sammeln) herstammt, hat das "Opfer" in unseren heutigen Gottesdiensten eine längere Geschichte. Im Alten Testament war ein Opfer eine rituelle Gabe, meist ein Tier, das auf dem Altar dargebracht wurde. Dieses geopferte Tier sollte etwas wieder gutmachen, eine Übertretung eines göttlichen Gebotes - es war ein Sühnopfer. Es gab auch Dankopfer, die sollten dann ausdrücken, dass Gott, der als Schöpfer eine Ernte ermöglicht hat, die ersten Gaben dieser Ernte gehören. Daneben gibt es aber im Alten Testament schon Stimmen, die rituelle Opfer kritisieren und dazu anregen, das "Opfer" nicht rituell darzubringen, sondern an der eigenen Haltung zu arbeiten, die das Opfer aus wirklichen inneren Beweggründen eines Menschen zu einer echten Gabe machen.
Mit dem Tod Jesu Christi am Kreuz ist die Frage nach einem Opfer ein für allemal beantwortet. Wir müssen Gott keine Opfergaben mehr darbringen - wir sollen vielmehr einander beistehen, weil Jesus Christus für uns alle gestorben ist. Der Apostel Paulus ruft die christlichen Gemeinden zu Sammlungen für die (armen) Heiligen in Jerusalem auf (2. Korintherbrief, Kapitel 8 und 9). Aber auch für den Dienst an den Armen der Ortsgemeinde nehmen die Apostel Geld entgegen (Apostelgeschichte, Kapitel 4). Zu allen Zeiten haben Christen in ihren Gottesdiensten, anknüpfend an die Tradition der Urgemeinden, Kollekten gesammelt. Die gesammelten Beträge kamen stets nicht nur den eigenen, sondern auch anderen Gemeinden zugute.
Die Gabe im Kollektenkorb heute macht den engen Zusammenhang von Liturgie und Diakonie - von Gottesdienst und Dienst am Menschen - deutlich. Sie ist als Spende Ausdruck der Selbst-Hingabe dessen, der sie gibt, und damit eine Form tätiger Teilnahme am Geschehen der Feier, deren innerster Kern die Hingabe Jesus Christi ist, der sich die Mitfeiernden anschließen sollen. Der Ursprung der Geldkollekte liegt im Brauch der Urgemeinde, zum sonntäglichen Gemeindegottesdienst auch Essen mitzubringen, das anschließend an die Armen verteilt wurde.
Vielleicht regen Sie ja, lieber Herr Dahlmann, in Ihrer Gemeinde einen Abend zu diesem Thema an?
Liegt in dem Wort "Opfer" etwas, das Sie und die Mitmenschen in der Gemeinde heute nicht mehr mit-tragen können? Oder können Sie den Ursprung in dem Wort "Dankopfer" mit-tragen? Welche Bedeutung hat die Kollekte für die Menschen Ihrer Gemeinde?
Gute Antworten auf diese Fragen wünscht Ihnen
Veronika Ullmann