Wieso ist alles so ungerecht?

Cila
Mensch betrachtet Puzzle von Erde
©Getty Images/Martin Barraud

Ich habe ein Problem damit wenn ich Menschen leiden sehe. Ich verstehe nicht wieso manche mit solche Schicksale bestraft werden. Was dabei die Überlegung Gottes wenn eine mit 21 Krebs hat oder im Bordell von Bangladesch geboren wird? Wieso ist es alles so ungerecht? Ich bemühe mich stark ein guter Mensch zu sein und glaube an Gott aber bin durcheinander.
Besten Dank

Liebe Cila,

vielen Dank für Ihre Frage, die mich beim Lesen sehr berührt hat. Sie fragen sich, wieso Gott nicht einfach eine Welt erschaffen hat, in der keine Krebserkrankungen existieren oder Menschen nicht in prekäre Lebensverhältnisse hineingeboren werden. Sie möchten gern wissen, welchen Grund Gott dafür haben könnte, Menschen solche und andere Schicksalsschläge zuzumuten. Mit dieser Frage und auch mit den damit verbundenen Gefühlen der Ohnmacht, des Unverständnisses und vielleicht sogar der Wut, sind Sie bei Weitem nicht allein.

Die Frage, wieso Gott das Leid zulässt, ist so alt wie die Religion selbst. Für mich gehört es zu einem lebendigen Glauben dazu immer wieder neu auch an diese Fragen zu geraten und so auch mit Gott in Auseinandersetzung zu sein. Eine universale Antwort wird es wohl nicht geben. Dennoch haben immer wieder kluge Menschen versucht einer Lösung des Problems auf die Spur zu kommen. Der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz hat sich im 17. Jh mit Ihren Fragen beschäftigt und war überzeugt davon, dass die Welt, in der wir leben, die beste aller möglichen Welten ist. Man kann sich das vielleicht so vorstellen, dass Gott sich in einem riesigen Kino mit unzähligen Kinosälen alle möglichen Welten angeschaut hat, von vorne bis hinten. Die Welt, mit dem wenigsten Übel hat er dann erschaffen und das ist eben diese beste aller möglichen Welten, in der wir jetzt leben. Vielleicht kennen Sie ja den Film „Bruce Allmächtig“. Da ist das in etwa so wie bei Leibniz. Bruce findet die Welt ziemlich ungerecht und darf plötzlich für eine Zeit lang Gott sein, während dieser Urlaub macht. In dieser Zeit versucht Bruce die Welt besser zu machen, aber immer wenn er etwas zum Besseren verändert, geschieht irgendwo etwas noch Schlimmeres als das Übel, das er verhindert hat. So in etwa stellt Leibniz sich das auch vor mit der besten aller möglichen Welten: jeder Eingriff würde bedeuten, dass die Welt sich zum Schlechteren verändern würde. Vielleicht befriedigt Leibniz’ Antwortversuch Sie nicht ganz. Mich auch nicht, weil die Frage ja bleibt, warum es denn nur die beste aller möglichen und nicht eine Welt völlig frei von Übel sein konnte, die Gott erschaffen hat. Wenn Gott doch allmächtig ist, müsste er das ja können.

Auf einer ganz anderen Spur im Hinblick auf diese Fragen befand sich der Philosoph Hans Jonas im 20. Jh. Seine Mutter war während des Nationalsozialismus im KZ gestorben und er war nach dem Schrecken des Holocausts davon überzeugt, dass man danach nicht mehr davon ausgehen könne, dass Gott allmächtig sei. Nicht, weil er nicht gewollt hat, sondern weil er nicht gekonnt hat, habe Gott in Auschwitz nicht eingegriffen. Aus Liebe hat Gott die Welt erschaffen und hat seine Macht bei der Schöpfung mit der Welt geteilt. Er kann nun zwar nicht mehr eingreifen bei dem, was geschieht, aber aus Liebe leidet er mit bei allem Übel in der Welt. Überall, wo Menschen leiden z. B. an Krankheit oder an ungerechten Verhältnissen, ist Gott ganz nah mit dabei und trägt das Leid mit, indem er auch daran leidet. Beim Lesen Ihrer Frage habe ich mich an diesen Gedanken von Hans Jonas erinnert. Es ist doch gar nicht so selbstverständlich, dass wir Menschen uns von den schlimmen Erfahrungen anderer berühren lassen können. Dass Menschen, wie Sie, fähig sind, sich das Leiden von anderen ans Herz gehen zu lassen, selbst wenn sie am anderen Ende der Welt leben und eigentlich Unbekannte sind.

Ich glaube, dass das in der Welt wirklich einen Unterschied macht und sie nicht dieselbe bleibt, als wenn uns das Leiden Anderer einfach kalt lässt. Und ich glaube, dass sich an dieser Fähigkeit sich durch das Leid Anderer berühren zu lassen etwas zeigt, was größer ist als wir selber. Für mich ist das Gott. Manchmal kann ich davon etwas spüren, wenn ich bete. Nicht umsonst fangen ja ganz viele Psalmgebete mit Klagen kann. Immer da, wo Menschen aussprechen, was in der Welt im Argen liegt, haben sie im Grunde schon begonnen zu beten, noch bevor sie „Gott“ gesagt haben. Vielleicht kann das auch für Sie etwas sein, mit all den Fragen, die Sie bewegen, auch Gott im Gebet zu konfrontieren. Nehmen Sie dabei ruhig kein Blatt vor den Mund, ich glaube fest daran, dass Gott das aushält. Meine Zeilen konnten Ihre Fragen jetzt sicher nicht erschöpfend beantworten, aber ich hoffe, dass sie Ihnen einige Impulse für Ihr weiteres Nachdenken liefern konnten. Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich Ihre Sensibilität erhalten und sich weiterhin anrühren lassen von dem, was Menschen widerfährt. Es macht einen Unterschied. 

Herzliche Grüße

Katharina Scholl

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