In 1. Kor. 8,6 steht, dass nur der Vater der einzige Gott ist. Jesus ist nur Herr. Ist Jesus nun Gott oder nicht?
LG
Liebe Frau Sperzel,
Sie sind über eine interessante Bibelstelle gestolpert. In 1. Korinther 8,6 schreibt Paulus:
„So gibt es für uns nur einen Gott, den Vater, von dem her alles ist und wir auf ihn hin, und einen Herrn, Jesus Christus, durch den alles ist und wir durch ihn.“
Sie wundern sich, dass Jesus Christus hier "nur" als Herr bezeichnet wird. Dabei steckt hinter dem Titel "Herr" mehr, als Sie vielleicht vermuten: Sowohl das hebräische ădonāj „(mein) Herr“ als auch das griechische kyrios „Herr“ sind im Alten und Neuen Testament Anreden und Titel für Gott, den Vater. Das Neue Testament wendet den Titel auch für den auferstandenen und erhöhten Jesus an und betont damit die Hoheit Jesu und seine Macht über die Welt.
Über Ihre Frage, wie das Verhältnis von Gott, dem Vater, und Jesus Christus, dem Sohn, zu bestimmen sei, haben sich auch schon viele Christ*innen vor Ihnen den Kopf zerbrochen. Paulus hat Jesus als den Herren erkannt, der durch die Auferstehung als Sohn Gottes gemeinsam mit dem Vater die Welt regiert. Von Vater und Sohn gemeinsam geht der Heilige Geist aus, der in den Menschen wirkt (Römer 8,9-11). Aus diesem dreifachen Gottesverständnis hat sich in den ersten Jahrhunderten nach Christus die Trinitätslehre entwickelt, die für die christlichen Kirchen bis heute wegweisend ist. Sie besagt, dass Vater, Sohn und Heiliger Geist drei Personen desselben göttlichen Wesens sind; alle drei sind in gleicher Weise göttlich, aber sie unterschieden sich in ihrem Ursprung und ihrer Sendung. In 1. Kor 8,6 spricht Paulus vom Vater, von dem alles ist, und von Jesus Christus, durch den alles ist. Womöglich weist uns Paulus hier auf die verschiedenen Seinsweisen Gottes hin: Er ist sowohl der Ursprung, von dem wir kommen, als auch der Herr, der sich in der Welt offenbart.
Für Ihre Frage kann es zudem hilfreich sein, sich klar zu machen, in welchem Zusammenhang sie entstanden ist: Etwa im Jahr 54/55 schreibt Paulus an die Gemeinde in Korinth, die er wenige Jahre zuvor während seiner zweiten Missionsreise gegründet hatte. Bevor sie Christ*innen wurden, waren viele Gemeindeglieder heidnisch, also nicht jüdisch. Vermutlich haben sie griechische Götter verehrt. Im Rahmen von kultischen Handlungen haben sie Fleisch gegessen, das im Tempel nichtchristlichen Göttern geopfert worden ist. Paulus antwortet nun auf die Frage, ob gläubige Christ*innen auch nach ihrer Bekehrung dieses sogenannte Opferfleisch essen dürfen. Gegen die Befürchtung, dass das Opferfleisch fremder Götter den Christ*innen schaden könnte, stellt Paulus in 1. Kor 8,6 das Bekenntnis zu dem einen Gott: Das Fleisch ist unschädlich, weil es neben dem christlichen keine weiteren Götter gibt. Die Betonung der Einzigkeit Gottes dient hier also der Abgrenzung vom Glauben an pagane Gottheiten. Diesen kommt keine Bedeutung zu. Der eine Gott, den Paulus verkündet, wirkt jedoch durchaus auf unterschiedliche Weisen.
Liebe Frau Sperzel, wie man sich das Verhältnis der drei Personen Gottes genau vorzustellen hat, darüber wird auch in der Kirche immer wieder diskutiert. Vielleicht können Sie ja mit der Formulierung des Theologen Hans Küng etwas anfangen: Dieser bezeichnet den Vater als „Gott über uns“, den Sohn als „Gott mit uns und neben uns“ und den Heiligen Geist als „Gott in uns“. Das Schöne an der Trinitätslehre ist, dass sie Gottes Vielfältigkeit hervorhebt: Auf dreifache Weise wird Gott in der Welt wirksam. Vielleicht hilft Ihnen ja dieser Gedanke auch bei Ihrer Frage weiter.
Mit freundlichem Gruß,
Louisa Braeuer