Guten Tag Frau Löw,
diese Frage war in der Diskussion zu meiner letzten Frage aufgetaucht, allerdings war sie leider etwas untergegangen und ist noch nicht wirklich beantwortet... Deshalb nochmal als neue Frage: Woher wissen Sie, welche Inhalte aus der Bibel heute gelten und welche nicht? Wie können Sie zum Beispiel sicher sein, dass Ihr Wunschbild vom "lieben Gott" stimmt und nicht etwa das gänzlich andere Gottesbild, das sich genauso in der Bibel (AT und NT) findet und nach dem Gott ein eifer- und rachsüchtiger, inhumaner, sadistischer und unvorstellbar grausamer Gott ist? Ich hoffe, ich habe meine Frage für die Mitleser kompakt genug und für die Beantwortung ausführlich genug formuliert :)
Viele Grüße und vielen Dank für Ihre Antwort, Marc Niedermeier
Lieber Herr Niedermeier,
ja, in der Tat, darüber diskutierten wir bereits. Ich erinnere mich gut :-) Ja, Sie haben recht: Die Bibel hat sehr viele Aussagen und auch inhaltlich verschiedene. Sie fragen nun, welche Inhalte der Bibel tatsächlich gelten.
Wir gehen von einer MITTE DER SCHRIFT aus. "Was Christum treibet" ist nach Martin Luther der hermeneutische Schlüssel, mit dessen Hilfe sich uns Evangelischen der Sinn des geschriebenen Gotteswortes erschließt.
Gott ist nicht im AT=böse und im NT=gut. So simpel ist das nicht. In beiden Bibel-Teilen ist er die Liebe, war nie jemand anderes. Und sein "Zorn" wendet sich immer und ausnahmslos gegen Böses, gegen das, was seine geliebten Geschöpfe zerstört. Gegen das, das uns schadet. Gottes Zorn kann man als die "Rückseite" seiner Liebe auch verstehen. Viele Menschen haben - gefüllt von ihren eigenen negativen Erfahrungen und unheiligen, egozentrischen und maßlosen Zornesgefühlen - ein völlig falsches Bild vom "Zorn Gottes".
"Was Christum treibet" stellt uns vor die Aufgabe, in einigen Fragen mit der Schrift gegen die Schrift zu argumentieren. So hatte schon Luther den Jakobusbrief als "recht stroherne Epistel" gebrandmarkt, weil dort die Rechtfertigung allein aus Glauben allein durch Christus nicht deutlich genug hervortrete. Übrigens wäre auch die Frauenordination nicht möglich gewesen, wenn wir nicht in Galater 3,28 gelesen hätten, dass wir alle eins sind in Christus, und den Hinweis, dass das Weib in der Gemeinde schweigen solle (vgl. 1. Korinther 14, 34), demgegenüber als zeitgebunden ins Verhältnis setzen konnten.
In der Bibel lesen wir, dass homosexuelle Praktiken verurteilt werden. Wir lesen aber zugleich: "Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm." (1. Johannes 4, 16). Eine pauschale Verurteilung homosexueller Beziehungen widerspricht dem Geist dieser Liebe, die in Jesus Christus zur Welt gekommen ist und an der wir unsere Beziehungen orientieren. Deshalb würdigt die EKD-Orientierungshilfe "Zwischen Autonomie und Angewiesenheit: Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken" gleich-geschlechtliche Liebesbeziehungen, obwohl es dafür keine direkten Schriftbezüge gibt.
Der bloße Verweis auf einen Wortlaut der Bibel ist kein hinreichendes Argument, um theologische Fragen zu klären. Und die Unterscheidung von geschriebenem und geoffenbartem Wort eröffnet auch die Einsicht, inwiefern die historisch-kritische Auslegung der Bibel ihr theologisches Recht hat. Sie verhindert, dass wir historische Gegebenheiten der damaligen Umwelt als Gottes geoffenbartes Wort missverstehen.
Das geoffenbarte Wort Gottes ist für den christlichen Glauben unser lebendiger Herr Jesus Christus. Die Liebe, die sich in ihm geoffenbart hat.
Wir Christinnen und Christen glauben nämlich nicht an ein Buch - die Bibel. Sondern an den Lebendigen - Jesus Christus. Diese Menschwerdung Gottes zeigt sich uns in seiner Offenbarung: Er selbst gibt sie in die irdenen Gefäße menschlicher Sprache. Ausgehend von dem Wort "Jesus Christus ist das lebendige Wort Gottes" (Johannes 1,14) lässt sich sagen: In der Schrift ist Gottes Wort durch seinen Heiligen Geist offenbart. Jesus sagte auch "Wer mich sieht, sieht den Vater" (Johannes 14,9).
Jesus Christus ist der zentrale Inhalt des Evangeliums, Mitte der Schrift, und zugleich der hermeneutische Schlüssel, der das geschriebene Wort für unsere Verkündigung und für kirchliche Äußerungen aufschließt.
"Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu Eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften", heißt es in der zweiten These der Barmer Theologischen Erklärung.
Mit herzlichen Grüßen,
Ihre Sabine Löw ( - die sich hier u. a. bei der Beantwortung von dieser EKD-Seite inspirieren ließ)