Was sind Bibliolog und Bibliodrama?

Susanne
Foto: Frank Muchlinsky

Hallo Herr Muchlinsky,

"Bibliolog" und "Bibliodrama", was ist das?

Natürlich habe ich mir im Vorfeld meiner Frage, wie immer, meine Gedanken dazu gemacht. Wenn ich das Wort "Bibliolog" lese, denke ich an einen "Dialog". Bei "Bibliodrama" gehen meine Gedanken hin zu einem "Schauspiel", einem "Theaterstück", einem "Drama". Weiter fällt mir die Bibel ein. Dort können wir an vielen Stellen Dialoge lesen, die Jesus mit den Menschen, insbesondere mit seinen Jüngern, führt. Außerdem sind in der Bibel im AT und im NT viele, oft sehr dramatische Berichte zu lesen.

Aber mehr ist mir zu "Bibliolog" und "Bibliodrama" nicht eingefallen. Und ob meine Gedanken am Ende von viel zu weit hergeholt sind, kann ich auch nicht beurteilen. Darum würde ich mich freuen, wenn Sie mir erklären könnten, was ein "Bibliolog" und ein "Bibliodrama" ist.

Herzliche Grüße
Susanne

Liebe Susanne,

 

wie schön, dass Sie mir eine Chance geben, hier etwas zu diesem Thema zu schreiben. Der Bibliolog liegt mir nämlich sehr am Herzen. Bibliolog und Bibliodrama sind Möglichkeiten einer kreativen Bibelauslegung. Die Grundidee ist bei beiden Ansätzen dieselbe: Die biblischen Texte sind sehr alt und stammen aus völlig anderen Zusammenhängen als diejenigen, in denen wir heute leben. Trotzdem können – so lautet das "Credo" von Bibliodrama und Bibliolog – die biblischen Texte direkt zu uns sprechen, wenn wir uns in sie hineinbegeben. Im Gegensatz zu einer Exegese von außen, die über die Texte redet, sind diese beiden Methoden eine Exegese von innen. Die beiden Methoden machen es möglich, den Text ganz haargenau zu betrachten und ihn sogar in Teilen zu erleben. Dadurch kann man zu Einsichten gelangen, die ausgesprochen erhellend für den Text sind und auch für sich selbst.

 

Bibliolog und Bibliodrama haben also neben der Erkenntnis über die Bibel hinaus auch einen Selbsterfahrungsanteil. Es ist nicht zuletzt dieser Anteil, der die beiden Methoden einerseits ausgesprochen attraktiv und lebendig macht. Andererseits stehen einige Exegeten auch deswegen den beiden Auslegungsmethoden kritisch gegenüber. Bibliolog und Bibliodrama wagen also den Sprung direkt in die biblischen Texte hinein, um sich dort umzuschauen. Das geschieht mit vielfältigen Einzelmethoden.

 

Bibliodrama ist im Grunde genommen ein Oberbegriff für eine ganze Reihe kreativer Methoden, sich mit einem biblischen Text zu beschäftigen. Das kann vom gemeinsamen lauten Vorlesen über das Aussuchen bestimmter Wörter bis zum szenischen Spiel mit verteilten Rollen alles bedeuten. Auch Schreiben, Malen, lebendige Statue oder Pantomime können genutzt werden. Wichtig ist einzig, sich in den Text zu vertiefen und darüber auszutauschen. Der Austausch über den Text ist eine weitere Gemeinsamkeit von Bibliodrama und Bibliolog. Beide Ansätze gehen unbedingt davon aus, dass es keine endgültige oder gar einzige Auslegung einer Bibelstelle gibt. Die Bibel will ausgelegt werden, und die Auslegungen sollen einander vorgestellt werden.

 

Diesen Punkt des Austausches, des Teilens der verschiedenen Erkenntnisse und Interpretationen hat der Bibliolog zum Hauptanliegen und zur Methode gemacht. Anders als das Bibliodrama folgt der Bibliolog im Grunde genommen einer einzigen Methode: Der Biblische Text wird von einer Leitung schrittweise gelesen. An geeigneten Stellen wird angehalten, und die Teilnehmenden schlüpfen alle in dieselbe Rolle einer biblischen Gestalt, die im Text vorkommt. Die Leitung stellt dieser biblischen Gestalt eine Frage, die nun nacheinander von vielen Teilnehmenden beantwortet wird. Wenn man beispielsweise Sarai fragt, wie sie auf die Ankündigung Abrams reagiert, dass er mit Gott gesprochen hat und den Auftrag bekommen hat, die Heimat zu verlassen und in ein ganz anderes Land zu ziehen (Vergleiche Gen 12,1-5), so kommen mehrere "Sarais" zu Wort. Die Aussagen werden von der Bibliologleitung in eigenen Worten wiedergegeben und so gesammelt. Dabei können sich die verschiedenen Äußerungen durchaus widersprechen, denn schließlich kann niemand wissen, was Sarai tatsächlich sagte, als Abram ihr von seinem Auftrag erzählte. Gerade die Vielfalt der Aussagen macht die Erkenntnis des Textes aus. Durch die verschiedenen Reaktionen Sarais werden die verschiedenen Facetten der Verheißung an Abram deutlich.

 

Das Symbol für den Bibliolog ist die Flamme aus "schwarzem und weißem Feuer". Das geht auf die Vorstellung der jüdischen Auslegungsmethode des "Midrasch" zurück. Die sagt: Die Bibel ist schwarzes Feuer geschrieben auf weißem Feuer. Während das schwarze Feuer, also die Buchstaben, nicht verändert werden dürfen, sind die Zwischenräume, das weiße Feuer, dafür da, sie mit den eigenen Interpretationen und Ideen zu füllen. Dieser Prozess findet kein Ende, er bleibt lebendig wie die Generationen von Menschen, die sich mit der Bibel beschäftigen.

 

Der Bibliolog entstand unabhängig vom europäischen Bibliodrama in den USA. Er wurde von dem jüdischen Literaturwissenschaftler und Therapeuten Peter Pitzele entwickelt. Er selbst nennt seine Methode bis heute in den USA Bibliodrama". Die Bezeichnung "Bibliolog" entstand erst, als die Methode 1999 nach Deutschland kam, wo es bereits das Bibliodrama seit langem gab. Seit diesem Zeitpunkt hat sich der Bibliolog in Europe sehr verbreitet, weil er leichter als das Bibliodrama zu lernen und einzusetzen ist. einsetzbar ist. Im Unterricht, in Bibelkreisen, in Gottesdiensten, selbst auf der Straße kann Bibliolog gelingen, weil es für die Teilnehmenden nichts weiter braucht als ihre Phantasie und den kleinen Mut, als eine biblische Person etwas zu sagen. Wer gern Bibliologe anleiten möchte, kann das innerhalb von vier Tagen lernen, während eine Ausbildung zur Bibliodramaleitung drei Jahre dauert. Die Gründe dafür sind einmal die enorme Methodenvielfalt und auch die Tatsache, dass man in einem Bibliodrama in der Regel tiefer in den Text und auch in die Selbsterfahrung eintaucht. Da braucht es gut ausgebildete Leitungen, um damit umzugehen. Im Bibliolog kommt es in der Regel nicht zu heftigen Reaktionen, weil die Identifikation mit den biblischen Gestalten weniger stark ist.

 

Wie Sie sehen, finde ich kaum ein Ende, denn ich liebe den Bibliolog sehr. Ich habe ihn 1999 kennengelernt und lehre die Methode seit 2003 selbst. Ich bin immer wieder fasziniert davon, welch tiefgehenden Erkenntnisse man über die biblischen Texte auf diese Weise gewinnen kann. Außerdem befördern Bibliolog und Bibliodrama eine Haltung, die ausgesprochen hilfreich für den Umgang mit der Bibel und mit anderen Menschen ist: Man lässt stehen, was andere zu einem Text entdecken, und versucht nicht, sie davon zu überzeugen, dass die eigene Interpretation die richtige ist. Wer lernen will, sich an Vielfalt zu freuen anstatt sie zu fürchten, kann das mit diesen Methoden ausgesprochen gut tun.

 

Abschließend noch zwei Hinweise: Über das Bibliodrama erkundigt man sich am besten auf den Seiten der Gesellschaft für Bibliodrama. Über den Bibliolog informieren die Seiten des Netzwerks Bibliolog.

 

Ich grüße sehr herzlich!

Ihr Frank Muchlinsky

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