Lieber Herr Franek,
vielen Dank für Ihre Frage, die ich gerne beantworte. Meine Antwort: Die Bibel entwickelt keine theologischen Leitsätze. Die Bibel spricht in einer unvorstellbaren Vielfalt und Tiefe von Gott. Das Gebet "der Herr ist mein Hirte" (Psalm 23,1) ist genauso vertreten wie die Klage: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (Psalm 22,2) Nur an diesen beiden Beispielen kann man erkennen, dass es unmöglich ist, Gott auf einen Satz und einen einzelnen Gedanken zu reduzieren. Genau unmöglich ist es, wenn man das Verhältnis zwischen Jesus und Gott an einem einzelnen Bibelwort fest machen will.
Sie beziehen sich in Ihrer Frage auch den Satz: "Der Vater ist größer als ich." Das sagt Jesus im Johannesevangelium. (Johannes 14,28). Jesus sagt aber auch: "Ich und der Vater sind eins." (Johannes 10,30) Man kann nur sagen, dass Jesus mit diesem Satz sein tiefes und inniges Verhältnis zu Gott anspricht. Denn: "Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand gegeben." (Johannes 3,35) Es geht um Jesu bedingungslose und innige Beziehung zu Gott, ein umfassendes Vertrauen steht im Mittelpunkt. Es geht nicht um eine Hierarchie oder eine Vor- und Nachordnung. Im Johannesevangelium ist das am Anfang schon deutlich hierachiefrei. Jesus sagt: "Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben." (Johannes 3,16)
Bitte behalten Sie im Blick, die Evangelien sind keine Lehrbücher. Evangelien sind literarische Erzählungen, sie erzählen Jesu Leben. Jesu Leben, das wird sichtbar, ist allein Gott und den Menschen gewidmet. An keiner Stelle lassen die Evangelien Zweifel: Zwischen Jesus und Gott besteht durchgehend ein tiefes Einvernehmen. Erst lange Jahre später beginnt die Theologie die Lehre der Dreieinigkeit zu formulieren.
Danke für Ihre Frage und Gott befohlen, Ihr Henning Kiene