Feindesliebe und Vergebung?

Laura Albermann (im Auftrag von Ba Ut)

Eingereicht von Laura für eine Facebook-Nutzerin, bei der das technisch nicht ging: Liebes Team, Von kleinstkindest Beinen an, bis ins Teenager Alter hinein wurde ich Opfer sexueller Gewalt. Ich leide noch immer darunter, bin krank und in Frührente. Seit einiger Zeit bin ich aber auch wieder aktive Christin und möchte Gott gefallen. Dh. auch, dass ich das Gebot, meine Feinde zu lieben, ihnen zu verzeihen und Gott über sie richten zu lassen, sehr ernst nehme. Das bringt mich in einen großen seelischen Konflikt und ich habe ein schlechtes Gewissen, weil mir das Verzeihen bei all dem Schmerz einfach nicht gelingen will. Ich habe auch schon mit den Worten Jesus am Kreuz versucht: "Herr, vergibt Ihnen, denn Sie wussten nicht, was sie taten" Vielleicht haben Sie noch einen guten Gedanken für mich oder einen Tipp, wie das mit dem verzeihen und lieben funktionieren könnte. Ich grüße Sie herzlich Ba Ut

Liebe Ba Ut,

für Ihre Frage, die unser Team trotz einer technischen Unklarheit erreicht hat, danke ich Ihnen. Zunächst möchte ich Ihnen mein tiefes Mitgefühl aussprechen: Sexualisierte Gewalt betrifft Sie und hat Sie im Kern Ihres Wesens so verletzt, dass Sie erkrankt sind und in die Frührente gehen mussten. Ihren Schmerz kann ich nicht teilen, ich kann Ihnen aber mein umfassendes Mitgefühl zusichern. Als Mitglied des Fragen-Teams schreibe ich Ihnen: Ihr Schmerz trifft, geht mir unter die Haut. Ich hoffe sehr, dass die Zeit des Verschweigens und Wegsehens in unserer Gesellschaft vorbei ist. Es ist an der Zeit, dass nicht Sie, die Betroffene, leidet, sondern, dass die Täterinnen und Täter tief in der Scham versinken, ihr verbrecherisches Tun erkennen und Sie um Vergebung bitten. Es ist leider Teil dieser Taten, dass die Täter und Täterinnen häufig keine Schuld erkennen können und ohne Einsicht in ihre Schuld bleiben. Viele sind ja nicht mehr am Leben. Die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt hat auch in unserer Kirche - wie in vielen gesellschaftlichen Institutionen und Vereinen - begonnen und ich bin mir sicher, dass die Scham auch in der Kirche in absehbarer Zeit von der Seite der Betroffenen auf die Seite der Täterinnen und Täter wechseln wird. 

Sie sind Christin. Als Christin haben Sie gelernt, dass Sie Vergebung üben müssen. Man hat Ihnen vielleicht vermittelt: Christlicher Glaube heißt, vergeben zu können. Vergebung sollte - so sehen es viele Christinnen und Christen - immer und in jedem Fall möglich sein. Menschliche Vergebung ist allerdings  an einen Grundgedanken gebunden: Vergebung, also das Lösen der Schuld, geht nur, weil Gott zuerst vergeben hat. Denn alles Vergeben kommt nur von Gott. Gott ist die Ursache, der Anfang und das Ziel jeder Vergebung. Wenn Sie einer anderen Person etwas vergeben wollen, dann tun Sie das nicht aus eigener Kraft, sondern aus Gottes Kraft. Wir nehmen, wenn wir etwas vergeben, nur an Gottes Vergebung teil, geben weiter, was wir selbst empfangen. Vielleicht ist es wie mit einer Umbuchung von einem Bankkonto auf ein anderes Bankkonto. Von Gottes überfließend reicher Gnade buchen wir etwas auf das Gnadenkonto eines anderen Menschen um, damit es ihm als persönliche Vergebung gutgeschrieben wird. Vielleicht ist es auch wie in einer Bäckerei: Von dem Sauerteig der Gnade Gottes nehmen wir, geben es in einen neuen Teig und hoffen, dass dieser Sauerteig aufgeht. Vergebung ist nicht unser Eigentum, sie wird uns zuteil und wir können davon nur weitergeben.

Allerdings: Den meisten Täter:Innen, die sexualisierte Gewalt ausüben, fehlt schon bei der Tat und dann lebenslang die Einsicht in ihre Schuld und sie erkennen das Verbrecherische in ihrem Handeln nicht. Wenn die Erkenntnis und das Bedürfnis nach Vergebung aber fehlt, dann geht der Sauerteig der Gnade im Leben dieser Täter nicht auf. Es wäre - banktechnisch - eine Luftbuchung. Es wäre keine Vergebung, wenn ein Täter, eine Täterin sagen würde: "Ich bin unschuldig. Vergebung? Brauche ich nicht." Der Sauerteig wäre kaputt. Das trifft auf viele Täterinnen und Täter zu. 

Schuld und Sünde, die als eigene, persönliche Sünde und Schuld nicht erkannt wird, ist unserer vergebenden Zuständigkeit entzogen. Bei fehlender Einsicht ist nur Gott zuständig. Bitte treten Sie das Thema Vergebung an Gott ab, er ist der Richter, der Gnade oder seinen Zorn walten lässt. Wenn Sie persönlich Zorn pflegen oder ihre Empörung nicht zurückhalten können, bitten Sie statt um Vergebung um ein besonnenes Herz, das nur Gott Ihnen geben kann. 

Sicher ist, dass Gott durch Jesus die Sünde ein für alle Mal  besiegt hat. Nur deshalb ist überhaupt Vergebung der Sünden möglich.  Bitte bleiben Sie sich selbst treu und entscheiden, ob, wem, wann und wie Sie etwas vergeben möchten und bitten Gott darum, der Richter über uns Menschen zu bleiben 

Wir prüfen die Technik unserer Fragen-Seite noch einmal und gehen davon aus, dass alle Fragen, die hier eingereicht werden, durch eine E-Mail automatisch bestätigt werden.  

Herzlich Ihr Henning Kiene 

Fragen zum Thema

Lieber Henning, zu der von Dir beschriebenen methodistischen Pfarrerin aus dem Jahr 1913…
Lieber Amir,  herzlichen Dank für Deine Frage. Mit Symbolen ist es meistens so,…
Liebe Fragenstellerin,  vielen Dank für Ihre Zeilen. Die Gedanken, die Sie…

Schlagworte