Liebes Fragen-Team,
Ich hab in letzter Zeit einige Fragen, die ich mir stelle.
1. Zum Beispiel zu dem selbstsüchtigen Wesen mit seinen Begierden und Leidenschaften.
Wie soll ich diesen Satz aus Galater 5,24 verstehen? Was sind denn aus Ihrer Sicht beispielsweise selbstsüchtige Leidenschaften und Begierden bzw. Begierden des Fleisches?
Zählt Sex auch dazu?
2. Ich habe hier gelesen, dass Sex vor der Ehe keine Sünde ist, aber trotzdem frage ich mich: verfalle ich quasi meinem Fleisch, wenn ich mich auf eine Partnerschaft einlasse vor der in der Bibel immer wieder gewarnt wird. Ich bin nämlich mit einem Muslim zusammen, der selbst jedoch nicht fest im Glauben steht, sondern sucht. Und wir sind noch nicht verheiratet und trotzdem sexuell aktiv. Mein Geist schwankt immer wieder zwischen: das ist ok und das ist Sünde ...
Ich hab des öfteren Angst, dass Gott deshalb quasi sauer auf mich ist und ich seinen Willen nicht befolge.
3.Ich habe Gott noch nie aktiv in meinem Leben sprechen hören oder gefühlt und weiß daher auch oft nicht, was ich jetzt tun soll bei einigen Entscheidungen. Oft schreiben die Menschen dann ja: Guck in die Bibel, wenn es nicht damit übereinstimmt, ist es falsch. Ist meine Beziehung dann auch falsch?
Könnten Sie mir vielleicht ein par Tipps geben, wie ich meine Entscheidungen überprüfen kann?
4. Ich möchte Gott in mein ganzes Leben einladen, wie kann ich ihn auch immer wieder in meinem Alltag einbinden? Ich hab das Gefühl, dass tue ich zu wenig, auch wenn ich versuche jeden Tag Bibel zu lesen und auch über den Tag hinweg hin und wieder zu beten
Vielen Dank im Voraus, diese Sachen beschäftigen mich seit einigen Wochen und ich hoffe Sie können mir helfen :-)
Liebe Fragestellerin,
da haben Sie wirklich ein richtiges Bündel an Fragen. Das ist gut. Vor langer Zeit sagte ein kluger Christ, der Kirchenvater Augustin: „fides quaerens intellectum“ –Glaube sucht nach Einsicht. Sie sind auf der Suche, und machen darum eine Sache auf jeden Fall schon richtig: Sie bleiben mit ihren Fragen nicht allein, sondern suchen das Gespräch. Dazu später noch mehr.
Ihr Verdacht, dass "Begierde und Leidenschaft" sexuell gemeint sind, ist nicht unbegründet. Kirchengeschlechtlich wurden diese Begriffe sehr schnell sexuell aufgeladen. Wenn man den Bibeltext aber ernst nimmt, ist so eine enge Betrachtung nicht gerechtfertigt.
Zwar fallen für Paulus sicherlich auch sexuelle Vergehen unter diese Leidenschaften und Begierden. Was er genauer darunter versteht, findet sich in der Auflistung in Vers 19. Wichtig ist dabei den Fokus dieser Liste zu betrachten: Das Problem mit der Begierde ist für Paulus, die Ich-Bezogenheit, die in zwischenmenschlichen Beziehungen dem oder der Anderen keinen Raum lässt. Mit diesem Schlüssel lässt sich die Aussage auch auf Sexualität beziehen: wer in (sexuellen) Beziehungen nur auf sich bedacht ist, und nicht auf die Bedürfnisse und die Freiheit des Anderen achtet, lebt unheilvolle Beziehungen, die nicht Gottes Idee einer lebensförderlichen und verantwortungsvollen Sexualität entsprechen.
Damit ergibt sich auch schon ein erster Ansatz für ihre nächste Frage. Eine christlich-verantwortliche Sexualität ist davon gekennzeichnet, dass sie lebensförderlich, verantwortungsvoll und gleichberechtigt ist. Die Warnungen in der Bibel vor Beziehungen mit Nicht-Gläubigen (von denen es durchaus auch positiv bewertete gibt, zum Beispiel im Esterbuch), sind in ihrem Kontext zu betrachten. Paulus hält eine interreligiöse Ehe grundsätzlich für möglich (1Kor 7,14), sieht aber gleichzeitig die Herausforderungen, vor die so eine Beziehung gestellt sein kann (1Kor 7,15).
Für ihre Frage, wie sie mit der Beziehung zu ihrem Freund umgeht, würde das (wie aber für jede Beziehung) bedeuten, dass sie prüfen und gemeinsam überlegen, ob ihr gemeinsamer Weg für beide so in Ordnung ist und keine Grenzen überschreitet. Sprechen Sie mit ihrem Freund offen über ihre Sorgen und Bedenken und kommunizieren Sie, dass sie auch auf seine religiösen Bedürfnisse achten wollen. Ich habe aber den Eindruck, dass Sie sich schon sehr viele Gedanken machen und verantwortungsvoll handeln. Sie sind auf einem guten Weg und ich glaube, Gott findet das sehr ok.
Nun noch zum zweiten Teil ihrer Fragen:
Ich kenne wenige Menschen, die sagen würden, Gott habe ganz klar in ihr Leben gesprochen. Und auch in der Bibel erleben Menschen Gott nicht immer als den, der sie in ihrem Leben ganz deutlich führt, sondern auch verborgen und hintergründig erfahrbar ist (auch hier ist das Esterbuch wieder ein hervorragendes Beispiel – Gott kommt dort gar nicht namentlich vor und trotzdem ahnt man, dass Ester von Gott bewegt ist). Darum möchte ich Ihnen als erstes mitgeben: Bitte denken Sie nicht, dass sie keine richtige Christin sind, wenn Gott nicht direkt zu ihnen gesprochen hat. Allein ihre Sehnsucht danach mit Gott in Kontakt zu kommen und Gott besser kennenzulernen, ist doch ein Zeichen, dass Sie von Gottes Geist bewegt sind.
Darüber hinaus kann ich Ihr Bedürfnis sehr gut nachvollziehen, Gott zu hören oder zu spüren. Ich glaube die Wege, wie man Gott begegnen kann, oder wie Gott einem begegnet, sind sehr unterschiedlich. Probieren Sie darum verschiedenes aus. Einen guten Tipp haben Sie schon bekommen: Lesen Sie in der Bibel. Ich würde den Tipp ergänzen: Lesen Sie die Bibel mit anderen. Suchen Sie Gemeinschaft mit anderen Christinnen und Christen. Probieren Sie mit anderen oder für sich allein auch unterschiedliche Formen von Gebet aus: Laut, leise, als Brief an Gott oder als Herzensgebet, im eigenen Bett, in der freien Natur. Ich glaube Gott möchte uns Menschen begegnen, aber tut das eben auf sehr unterschiedliche Weise. Ich finde dazu auch folgende Gedanken sehr hilfreich: https://www.reflab.ch/ich-spuere-gott-nicht/
Nun noch zum Abschluss: Im Alltag scheint es manchmal ganz schön schwer genug Zeit für den Glauben zu finden. Ich glaube, Gott weiß das und freut sich über jede Minute, die Sie Zeit finden zu beten, in der Bibel zu lesen oder aber auch mit anderen Menschen zu lachen, zu weinen und zu feiern. Unser ganzes Handeln und Tun soll ein Gottesdienst sein (Röm 12,1-2): Früher haben mich diese Zeilen unter Druck gesetzt, weil ich meinte, dass ich in jeder Situation meines Lebens Gott nicht aus den Augen verlieren dürfe. Heute kann ich Kraft aus diesen Zeilen gewinnen: Gottesdienst ist auch das Bibellesen und die bewusste Zuwendung zu Gott, aber eben genauso auch die Momente der Gemeinschaft mit anderen – fröhliche oder traurige, und die Momente in denen ich es mir auch ganz alleine gut gehen lasse. Ich ehre und verwirkliche damit Gottes Schöpfung. Machen Sie sich also keine Sorgen, dass Sie nicht genug für Gott tun. Es ist schon alles getan.
Trotzdem ist es natürlich auch schön, sich Zeiten und Orte in der Woche zu schaffen, die man sich bewusst für Gemeinschaft mit Gott und anderen Christen freihält. Es gibt die unterschiedlichsten Möglichkeiten das zu tun. Auch hier gilt: Schauen Sie, was für Sie gut passt: Vielleicht nehmen Sie sich vor, regelmäßig Gott vor dem Essen zu danken? Oder finden eine regelmäßige (Online)-Andacht, bei der sie mit andren zusammenkommen, lesen montags immer den Wochenspruch oder planen Zeit für ein abendliches Gebet vor dem Zu-Bett-Gehen ein. Oder alles zusammen. Bleiben Sie dran und finden heraus, was ihrem Glauben und Ihnen selbst guttut. Für mich bedeutet christlicher Glaube nämlich, dass: Gottes freimachende Liebe und nicht einengende Pflichten.
Ich wünsche Ihnen Gottes Segen und Alles Gute auf ihrem Weg: Gehen Sie voller Zuversicht voran. Gott geht ihre gerade und ungeraden Wege mit.
Herzliche Grüße
Felix Weise
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