Die Geschichte der zehn Plagen für Kinder?

Rolf Reitis, Dr.med.
Kinder im Religionsunterricht
Getty Images/iStockphoto/FatCamera

In der Grundschule hier werden die 10 Plagen durchgenommen. 2 Kinder erkrankten danach (Nabelkoliken, Bettnässen). Ich fragte sie, wie das auf sie gewirkt habe, dass Gott erst das Vieh mit Pest und dann die Erstgeborenen getötet habe. Ein Kind weinte, er sei ja auch der Älteste. Besonders das Vieh tat den Kindern leid. Knaben und Vieh sind ja unschuldig.  Glaubt man heute noch an solche Gottesstrafen?

Darf man Kindern die Geschichte so erzählen, wie es die Bibel tut? Was bekommen sie für einen Eindruck von dem, der sie später einmal richten soll? Vielen Kindern ist ja durchs Fernsehen / Medien bekannt, dass unschuldige Kinder ja auch im 3. Reich ermordet wurden.

Lieber Herr Dr. Reitis,

vor Kurzem habe ich mit einer befreundeten Grundschullehrerin gesprochen, die mit ihrer Klasse die Geschichte vom Auszug aus Ägypten behandelt hat. Sie hat sich ähnliche Fragen wie Sie gestellt und ist dabei zu ihrer eigenen Einschätzung des Textes gelangt. Darum habe ich sie gebeten, Ihre Frage hier zu beantworten, was sie freundlicherweise getan hat.

Mit freundlichem Gruß

Frank Muchlinsky

Lieber Herr Dr. Reitis,

darf und soll man Kindern die Geschichte von den 10 Plagen erzählen, fragen Sie. Und ich darf Ihnen verraten, dass ich mich das als Religionslehrerin auch schon gefragt habe. Da kommen unschuldige Menschen ums Leben. Da sterben Tiere. Da wird uns von einem Gott erzählt, der auf den ersten Blick so gar nicht liebend und verzeihend erscheint, sondern straft – und das mit den ärgsten Mitteln. So kann man die Geschichte der 10 Plagen lesen. Aber man wird ihr damit, so finde ich, nicht gerecht.

Meines Erachtens sind die zehn Plagen zunächst einmal vor allem eins - zehn Chancen: Zehnmal gibt Gott dem selbstherrlichen, machtversessenen Pharao, der die Israelitinnen und Israeliten brutal unterdrückt und quält, die Möglichkeit, umzukehren. Lass mein Volk ziehen, lässt Gott dem Pharao durch Mose sagen. Lass mein Volk ziehen, dann werde ich nicht strafen, sagt dieser Gott, der mühelos auch gleich die Erstgeborenen hätte sterben lassen können. Nicht einmal, nicht dreimal, sondern zehnmal gibt Gott selbst dem ärgsten Tyrannen eine Chance zum Neubeginn. „Wieso ist der Pharao denn so dumm und lässt die Israelitinnen und Israeliten nicht einfach gehen?“, fragten meine Viertklässler, als ich ihnen die Geschichte der 10 Plagen erzählte. Ja. Warum eigentlich?

Soweit die Geschichte aus der Perspektive des Pharaos und der Ägypter. Kinder nehmen diese Perspektive ein, das schreiben Sie ja auch. Sie haben Mitleid mit den Erstgeborenen und den Tieren. Das alles kann und sollte man im Religionsunterricht zulassen und aushalten, finde ich, da es die Kinder ernst nimmt. Dabei stehenbleiben möchte ich trotzdem nicht, sondern die Perspektive beleuchten, aus der heraus die große Geschichte des Exodus geschrieben ist:  die Perspektive Israels. Die Israelitinnen und Israeliten leben in Unfreiheit und Unterdrückung, der Willkür eines Tyrannen ausgeliefert. Sie sind Sklavinnen und Sklaven des Pharaos. Doch Gott gibt ihnen das große Versprechen: Ich hole euch hier raus. Ich führe euch in ein Land des guten Lebens. Ich bin für euch da. Immer und unter allen Umständen. Das verspricht Gott, als er sich Mose am Dornbusch offenbart. Und für diese Zusage ist Gott bereit, alles zu tun. Er setzt Himmel und Erde in Bewegung für sein Volk. Er hält zu den Seinigen. Er befreit die Israelitinnen und Israeliten vom Joch des schier übermächtigen Pharaos. Was für eine Vorstellung, so einen Gott an seiner Seite zu haben! Auch und erst recht für Kinder, die in ihrer Lebenswelt häufig erfahren, dass sie die Kleinen und Ungehörten sind, auf deren Schultern und Seelen manchmal so große Steine lasten: Gott hält zu dir. Keine Macht ist größer als dein Gott.

Und trotzdem mag ein Rest Unbehagen bleiben, mögen wir und die Kinder die Unschuldigen sehen, deren Leben diese Befreiung kostet. Die Kinder meiner Klasse haben einen Umgang damit gefunden, der für mich viel Tiefe und Lebensklugheit offenbar: „Es ist wie bei Harry Potter“, meinte ein Junge. „Da helfen auch nicht immer nur Worte, um Voldemort [den Bösewicht] zu besiegen.“ Ein anderes Kind ergänzte gleich: „Ja! Oder bei Star Wars, wenn Luke Skywalker mit dem Laserschwert gegen Darth Vader kämpft: Bamm!“

Bamm! Ein gewaltiger Schlag gegen das Böse. Und am Ende wird alles gut. Gott macht, dass alles gut wird. Das ist für mich die Geschichte der 10 Plagen. Eine Geschichte, die ich meinen Schülerinnen und Schülern auf keinen Fall vorenthalten möchte. Vielleicht können Sie, lieber Herr Dr. Reitis, die Gründe dafür ein wenig nachvollziehen.

Mit freundlichen Grüßen

Marina Schwabe

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