Sind die Evangelien ausgedacht?

Jannik
Aufgeschlagene Bibel in Kirche
© epd-bild/Christiane Stock

Guten Tag,

Es gibt ja viele Menschen, welche sagen, dass es nicht belegt ist, dass Matthäus, Johannes, Markus und Lukas die Verfasser der Evangelien waren. Diese Menschen halten die Evangelien deshalb für unglaubwürdig und ausgedacht. Dass die Apostel sich die Evangelien ausgedacht haben halte ich eh für unlogisch, denn die wurden ja verfolgt und ermordet, das hätten sie nicht für eine Lüge auf sich genommen. Aber manche denken, ja dass irgendwelche anderen (die nicht zu den Aposteln oder den bekannten Evangelisten gehörten), sich das ausgedacht haben.

Meine Frage ist deshalb folgende: Vorausgesetzt die Verfasser waren nicht Matthäus, Johannes, Lukas und Markus, warum sollten die Verfasser sich etwas ausdenken, wovon sie wissen, dass es nicht passiert ist? Zur damaligen Zeit gab es doch keinen Grund dafür, sich so etwas auszudenken (auch wenn man als normaler damaliger Bürger die Evangelien anonym verbreiten könnte), oder? Außerdem hätte ich noch ein weiteres Argumente dafür, dass die Evangelien nicht ausgedacht sind: Es gab mehrere Autoren der Evangelien und Briefe des biblischen Kanons. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass so viele Menschen sich etwas ausdenken, was so gut zusammenpasst und widerspruchslos ist. Was würden sie zu diesem Argument sagen?

Ich hoffe, dass Sie mir helfen können. Mit freundlichen Grüßen

Lieber Jannik, 

wie glaubwürdig die Evangelien - oder die Bibel allgemein - ist, darüber gibt es tatsächlich sehr unterschiedliche Auffassungen, die reichen von: "Die Bibel ist Wort für Wort wahr, weil sie Gottes Wort ist" bis hin zu "Die Bibel enthält nur mehr oder wenig phantasiereiche Geschichten, die sich Menschen ausgedacht haben."

Sie nennen ein paar Argumente, warum man die Evangelien für glaubwürdig halten kann. Zumindest in der Bibelwissenschaft, die die biblischen Text sehr genau auf Ihre Entstehung und die Hintergründe abklopft, ist es breiter Konsens, dass die Evangelien nicht einfach "ausgedacht" sind. Die meisten Bibelwissenschaftler gehen davon aus, dass nach Jesu Tod die Menschen sich zunächst mündlich Geschichten über Jesus weitererzählten. Manche fingen dann auch schon an, die Geschichten aufzuschreiben und Sammlungen mit Geschichten über Jesus anzulegen. 

Die Evangelisten begannen nun - vermutlich ab ca. 70 n. Chr, also 40 Jahre nach Jesu Tod die Geschichten, die im Umlauf waren zu sammeln und aufzuschreiben. Dabei war ihre Perspektive natürlich die eines Gläubigen, d.h. sie waren überzeugt davon, dass Jesus Wunder getan und Menschen geheilt hatte und von den Toten auferstanden war. Nur wer davon überzeugt war, hatte überhaupt Grund sich diese Mühe zu machen. 

Die Frage, die sich Bibelwissenschaftler stellen ist also weniger, ob sich die Evangelisten alles ausgedacht haben, sondern eher: An welcher Stelle beim Weiterzählen die Geschichten von Jesus ausschmückt wurden und wo es wahrscheinlich ist, dass in den Geschichten noch der historische Jesus rauszuhören ist. An der Stelle gibt es unterschiedliche Meinungen, wie vielversprechend ist, hinter dem Text der Evangelien nach dem "historischen Jesus" zu suchen. In der Vergangenheit gab es Wissenschaftler, die sehr zuversichtlich waren, dass man mit bestimmten Analyse-Methoden aus den Evangelien eine Auswahl von "echten" Jesusworten herausfiltern kann. Heute ist man da nicht mehr ganz so zuversichtlich. 

Wie soll man nun mit den Evangelien umgehen? Ich finde es erstmal wichtig wahrzunehmen: Die Evangelien sind Bücher von Autoren, die von der tiefen Überzeugung geprägt waren, dass die Geschichte Jesus von Nazareth nicht mit seinem Tod vorbei war. Ihre Evangelien sind Bücher, die aus der Perspektive des Glaubens geschrieben sind. Und Bücher, in denen sich Erzählungen wiederfinden, die über einige Jahre gewachsen sind und sich verändert haben. Das erstmal wahrzunehmen hilft dabei, einzelne Verse oder Worte nicht zu viel Gewicht zuzumessen. Ich finde es hilfreicher immer das Gesamtbild im Blick zu halten, dass die Evangelien zusammen zeichnen. Und da gibt es - wie Sie es ja schon benannt haben - auch viele Übereinstimmungen: Jesus, der davon überzeugt ist, dass Gott nicht außerhalb dieser Welt ist, sondern auf dieser Erde anfangen möchte, sein Himmelreich aufzubauen. Jesus, der sich für Menschen, die am Rand stehen einsetzt - zur damaligen Zeit Frauen, Säufer, Prostituierte, Zöllner. Jesus, der von einer großen Liebe und einem Gottvertrauen geprägt war... 

Trotzdem: So wie die Evangelien-Autoren die Bücher aus der Perspektive des Glaubens geschrieben haben, so ist die Perspektive des Glaubens auch beim Lesen entscheidend. Wer davon überzeugt ist, dass Gott nur ein Fantasieprodukt ist und Jesus maximal ein guter Mensch, den werden die Evangelien auch nicht von etwas Anderem überzeugen. Die Evangelien sind keine historischen Beweise, dass in Jesus Gott zu den Menschen gesprochen haben. Sie können maximal zeigen, dass viele Menschen von Jesus begeistert waren und seine Worte und sein Leben für sie ganz Besonders waren. 

Ich wünsche Ihnen, dass Sie eine gute Antwort darauf finden, was Ihnen die Bibel bedeutet! Und, dass die - guten und wichtigen - Fragen, die Sie stellen, nicht verhindern, dass Sie mit Neugier und Spannung lesen, was die Evangelien von Jesus erzählen. 

Alles Gute Ihnen,

Ihr Pfarrer Felix Weise

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