Wie umgehen mit meinen rechtsradikalen Nachbarn?

Amrei
Nazi Glatze
© Getty Images/iStockphoto/PDerrett

Hallo, 

bei uns in der Nachbarschaft ziehen Menschen ein, die offen eine rechtsextreme Gesinnung nach außen tragen: Glatzen, einschlägige Marken, Symbolik wie die 88. Ich bin schockiert und beunruhigt, weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Nett grüßen, wie ich jeden Nachbarn grüße, ich bin eigentlich zu jedem freundlich, egal ob konservativ, Hippie, bürgerlich, ausländisch, oder nicht. Ich grüße sogar den Mann, der seine Frau geschlagen hat und ich die Polizei gerufen habe. Anscheinend hat er sich etwas gebessert und ich bin nicht sein Richter. Aber wie kann ich in der unmittelbaren Nähe wohnen, von Menschen, die Hitler verherrlichen? Denen nicht übel wird, wenn sie ernsthaft daran denken, was damals passiert ist? Wie sollen sich unsere engsten Freunde fühlen, wenn sie zu Besuch kommen - hellhäutige, dunkelhäutige, Araber - alles buntgemischte, weltoffene Menschen?

Ich will keinen Proteststand vor ihrer Tür aufbauen, was soll das bringen? Außerdem habe ich Angst. Ich finde, der Stil demonstriert auch eine gewisse Gewaltbereitschaft, auch wenn ich das natürlich nicht weiß, aber es schüchtert mich ein. Trotzdem denke ich, wir sollten ein Straßenfest mit einem Motto von Frieden und Vielfalt organisieren oder ähnliches. Jetzt habe ich mit einigen Nachbarn gesprochen, was wir tun können und das Fazit ist so ernüchternd: "Da kann man nix machen", "In was für einer Bubble lebst du, es gibt doch total viele Rechte", "Du kennst sie doch noch gar nicht", "Jetzt bist DU ja die Intolerante, die ausgrenzen will". Ich bin tolerant. Aber schließt das nicht ein, dass man Hass und Nicht-Toleranz ablehnt? Ich bin gerade ganz verunsichert, unglücklich und besorgt. Ich habe versucht zu beten, aber ich bin, glaube ich, gerade noch viel zu emotional, um Gott hören zu können. Die Kirchen haben bei uns zu Demos aufgerufen nach den AfD-Skandalen und viele meiner Nachbarn waren mit da. Aber bei waschechten Nazis in der Nachbarschaft tun wir so, als wäre nix passiert? Wie soll ich mich denn verhalten?

Liebe Amrei,

Vielen Dank, dass Sie uns, dem Fragen-Team der Evangelischen Kirche, eine Antwort auf Ihre Frage zutrauen. Offenbar leben Sie in einer Kirchengemeinde, die das Thema "Vielfalt, Toleranz und Weltoffenheit" schon auf ihre Tagesordnung gesetzt hat und sogar zu Demonstrationen aufruft. Ich hoffe sehr, dass Sie dort auch Ansprechpartner:innen finden, mit denen Sie Ihr persönliches Vorgehen beraten können. Denn das, was Sie in Ihrer unmittelbaren Nachbarschaft jetzt tun, sollten Sie mit bestehenden Initiativen verbinden.  Kurz: Als Einzelkämpferin erreichen Sie mehr, wenn Sie als Teil einer größeren Bewegung auftreten, die vor Ort schon aktiv ist. In einer Gruppe sind Sie persönlich auch besser geschützt als als Einzelperson. Ich vermute, dass Sie in Ihrer Kirchengemeinde, in Parteien und Gewerkschaften solche Unterstützung finden. Sie werden vermutlich auch nicht die Einzige sein, die diese Veränderung, die durch den Zuzug "waschechter Nazis" bemerkt und die Unheil verhindern will. 

Während ich diese Zeilen schreibe, habe Ihre eigentliche Frage noch immer vor Augen. Sie fragen nach Grenzen der Toleranz. Sie sollten sich gegen den Vorwurf, Sie seien intolerant, wenn Sie sich gegen Nazis wehren, zur Wehr setzen.

Grundsätzlicher gefragt: Muss ich tolerant bleiben, wenn meine Toleranz auf die Intoleranz anderer Menschen trifft?

Grundsätzlich geantwortet: Toleranz setzt eine eigene Position voraus und lebt zugleich von der Bereitschaft, andere Menschen zu ertragen, die mit Standpunkten leben, die von der eigenen Position abweichen. Erwartet ein intolerantes Verhalten jedoch toleriert zu werden, ist die Grenze der Toleranz erreicht. Toleranz duldet keine Intoleranz. Das heißt: Niemand muss die Verachtung der Toleranz durch sein Gegenüber tolerieren. 

Mit Blick auf Ihre neue Nachbarschaft: Sie müssen den Menschen, die Sie als "waschechte Nazis" erleben, nicht automatisch mit Toleranz begegnen. Bitte prüfen Sie Ihr Gewissen und vergewissern sich, dass Sie die intolerante Ideologie, die Sie über den Gartenzaun hinweg erkennen, wirklich nicht tolerieren wollen. Ziehen Sie, gegenüber jeder Form der Intoleranz die nötigen Konsequenzen. 

Damit bin ich wieder am Anfang meiner Antwort: Suchen Sie sich bitte Partnerinnen und Partner für Ihr weiteres Vorgehen, vergewissern sich immer wieder auch, dass Sie nicht die Menschen, die neu zugezogen sind, bekämpfen, sondern gegen deren offen zu Tage getragenen intoleranten Überzeugungen antreten. Wenn es um öffentlich zur Schau getragene verfassungsfeindliche Aktivitäten geht, können Sie sich übrigens auch mit dem Fachpersonal der Polizei in Verbindung setzen und dieses Verhalten anzeigen. 

Die Pastorin Sylvia Bukowski hat einmal ein Gebet formuliert, vielleicht passt das zu Ihnen und in Ihre Gemeinde: 

Gnädiger Gott, wir danken dir für die Freiheit,
in die du uns führst durch Jesus Christus.
Bewahre uns davor, sie zu verwechseln mit Beliebigkeit, 
der alles gleich-gültig ist, was den Glauben betrifft. 
Lass uns nie aufhören, nach deiner Wahrheit zu fragen 
und sie in der Liebe zu Menschen zu leben.
Lehre uns Unterschiede zu achten, 
ohne uns voneinander zu trennen; 
und wenn uns Feindschaft entgegenschlägt 
lass uns nicht Böses mit Bösem vergelten, 
sondern im Geist deines Sohnes nach Frieden suchen.

Ich wünsche Ihnen viel Kraft, dass Sie die Grenze Ihrer Toleranz nicht strapazieren müssen, der Ideologie "waschechter Nazis" widerstehen und in Ihrer Kirchengemeinde, in den demokratischen Parteien und bei Gewerkschaften und Verbänden die Unterstützung finden, die Sie suchen.

Herzlich, Ihr Henning Kiene 

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