Lieber Herr Muchlinsky,
ich bin sehr gläubig und Gott hat mir schwere Sünden vergeben. Als ich um Vergebung bat, sagte ich, ich würde mich bessern, verschiedene Dinge zukünftig tun oder lassen, woran ich z. T. aber gescheitert bin. U. A. wollte ich öfter in die Kirche gehen. Leider habe ich gemerkt, dass mir die Gottesdienste unserer Gemeinde gar nicht zusagen. Oftmals empfinde ich sie nicht als Bereicherung, sondern als verlorene Zeit, in der ich auch etwas anderes hätte tun können. Manchmal kommen Gastprediger und ich habe den Eindruck, dass sie einfach ihre Meinung zu verschiedenen Themen vertreten oder nur Dinge erzählen, die man sich auch selbst denken kann. Ich schäme mich dafür, dass das sicher arrogant klingt. Meine Abneigung gegen den Gottesdienst ist keine Abneigung gegen Gott oder sein Wort, auch die Kirche finde ich aus vielfachen Gründen wichtig. Nur ist es so, dass mich die Gottesdienste unserer Gemeinde nicht erreichen. Ich komme Gott dadurch nicht näher, sondern sitze nur Zeit ab, weil ich es als Verpflichtung empfinde, und oft nichts Neues erfahre. Für mich ist das Gebet viel wichtiger, um meine Beziehung zu Gott zu pflegen.
Daraus ergeben sich zwei Fragen; nein eigentlich drei:
Ist mir vergeben, auch wenn ich Versprechungen, die ich deshalb gemacht habe, nicht einhalte?
Muss ich in die Kirche?
Wenn die Protestanten meinen, dass ich es nicht muss, die Katholiken aber doch, wie kann ich sicher sein, dass wir recht haben? Christen sind wir doch alle.
Herzlichsten Dank!
Liebe Annika,
vielen Dank für Ihre Frage, oder besser gesagt: die mehreren Fragen! Bevor ich auf das Thema "Gottesdienst" eingehe, möchte ich gern etwas Generelles auf Ihre Frage nach der Vergebung schreiben, das für Sie und viele andere Menschengilt, denen Ähnliches durch den Kopf geht:
Machen Sie keine "Deals" mit Gott! Wenn Sie etwas von Gott erbitten – sei es Vergebung oder auch die Erfüllung Ihrer Gebete – vermeiden Sie es unbedingt, Gott dafür etwas anzubieten! Solche Angebote interessieren Gott nicht. Sicherlich ist es gut, wenn man das eigene Leben bessert, wenn man spürt, dass Gott einem vergeben hat, aber man sollte diese Vergebung als Geschenk empfangen. Welche Gegenleistung könnten wir Gott den wirklich dafür anbieten, dass er unsere Sünden vergibt? Das Versprechen, nie wieder zu sündigen? Das wird niemand schaffen. Auch Jesus hat in der berühmten Geschichte von der Fast-Steinigung der Frau, die beim Ehebruch ertappt wurde nicht verlangt, dass sie versprechen soll, nie wieder zu sündigen. Er forderte sie lediglich dazu auf, ohne ein Versprechen zu verlangen und sagte: "Geh hin und sündige nicht mehr." (Joh 8,11) Gott verlangt von uns durchaus, dass wir das Richtige tun, aber nicht, dass wir uns noch mehr Fehler dadurch erschaffen, dass wir Versprechen machen, die wir nicht einhalten können. Also: Danken Sie Gott dafür, dass er Ihnen vergibt, und nehmen Sie sich gerne vor, die Dinge künftig besser zu machen. Aber versuchen Sie nicht, Gott mit solch einem versprechen "rumzukriegen". Das ist nicht nötig sondern vielmehr – wie Sie selbst erleben – belastend bis schädlich. Direkt auf Ihre Frage gemünzt, bedeutet das: Natürlich wird Ihnen auch vergeben, wenn Sie Versprechungen nicht einhalten.
Zweiter Riesenpunkt "Muss ich in die Kirche?"
Meine allererste Antwort auf diese Frage lautet: Sie sind doch bereits in der Kirche! Ich weiß, das ist ein wenig spitzfindig, aber ich will gern erklären, was ich genau meine: Die Kirche ist die "Gemeinschaft der Heiligen", wie es in unserem Glaubensbekenntnis heißt. Auch Jesus sagt ja, dass er anwesend ist, wo man seinetwegen zusammenkommt. (Auch hier wieder berühmte Worte: "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen." Mat 18,20) Mit anderen Worten: Der Gottesdienst ist zwar eine herausragende Möglichkeit, bei der Christinnen und Christen zusammenkommen und ihren Glauben feiern, aber er ist nicht die einzige. Der Gottesdienst ist eine wichtige Einrichtung, weil kein Mensch seinen Glauben ganz allein leben kann. Es fehlt ihm genau diese Erfahrung der Gemeinschaft mit anderen und nicht zuletzt mit Gott. Dennoch geht niemandem von uns das Heil verloren, wenn wir nicht jeden Sonntag in die Kirche gehen.
Mit dem Gottesdienstbesuch ist es wie mit vielen Dingen, die eigentlich gut für uns sind: Wir müssen uns auf sie einlassen. Zähneputzen ist gut, aber auch mühsam. Sport und Bewegung sind gut, aber manchmal muss man sich aufraffen. Manchmal merkt man bei Sport, wie es Spaß macht und beflügelt, manchmal strengt es einfach nur an. Mit der Zunge über die frisch geputzten Zähne fahren, ist schön, aber morgens nach einer zu kurzen Nacht vor dem Waschbecken zu stehen und zu putzen, möchte man sich doch gern einmal sparen können.
Einer Predigt zuzuhören, die mehr Aufmerksamkeit fordert als sie verdient, kann sehr anstrengend sein, und anders als beim Sport weiß man nicht einmal, dass sie einem in jedem Fall gut tut. Aber Gottesdienst ist mehr als die Predigt, auch wenn in evangelischen Kirchen die Predigt eine sehr prominente Stellung hat. Wichtig ist vor allem, was ich bereits erwähnte: Zusammenkommen und gemeinsam den Glauben feiern. In einem Gottesdienst zu sitzen und mit vielen Menschen singen: "Christ erstanden!", während die Kirche am Ostermorgen immer heller wird, lässt einen schon mal vor Glück erschauern. Wo zwei oder drei in Jesu Namen die Bibel lesen, wo sie singen oder gemeinsam beten, da ist Gottesdienst.
So, das ist mal wieder eine sehr "protestantische Antwort" von mir, nach dem Motto: Sie müssen nicht, aber Sie sollten schon, und wenn Sie's nicht tun, müssen Sie das mit sich selbst und Ihrem Gott ausmachen. Ich hoffe, dass Sie etwas damit anfangen können.
Ich grüße von Herzen!
Frank Muchlinsky