Guten Tag,
mein Name ist Johan und ich bin 20 Jahre alt.
Ich bin getauft und konfirmiert worden, bin also auf dem Papier evangelisch.Irgendwann distanzierte ich mich jedoch immer mehr von der Kirche und habe mittlerweile nicht mehr viel mit Religionen zu tun.In letzter Zeit habe ich mich jedoch aus Interesse wieder intensiver mit dem Christentum beschäftigt.
Ich würde meine Einstellung zum Christentum wie folgt beschreiben: Ich bin mir nicht sicher, ob ich an einen Gott glaube, kann mir aber gut vorstellen, dass es einen gibt. Letztendlich ist es aber für mich nicht so wichtig, ob es einen Gott gibt. Wenn die Menschen christlichen Grundwerten (z.B. der Nächstenliebe) folgen, unterstütze ich das und es ist mir egal, ob Menschen dies tun, weil sie an einen Gott glauben oder aus anderen Gründen. Ich unterstütze und befürworte im Großen und Ganzen die Werte des Christentums und finde es wichtig, dass diese aktiv gelebt werden.
Ich sehe Jesus als eine Art Vorbild und versuche, seine Ansichten in mein Leben einzubauen. Ich kann mir allerdings nur schwer vorstellen, dass er der Sohn Gottes war, über Wasser gegangen ist oder Kranke geheilt hat. Ich bin beruflich in einem medizinischen Bereich tätig. Meine Frage lautet: Bin ich überhaupt Christ? Und wäre es nicht inkonsequent weiter in der Kirche zu bleiben, wenn ich doch mit vielen Punkten gar nicht übereinstimme?
Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen!
Vielen Dank im Voraus!
Johan
Lieber Johan,
Sie sind ein Christ. Warum ich das schreibe? Zunächst einmal, weil Sie getauft sind. Das hat Sie ein für alle Mal zum Christen gemacht – zumindest aus der Sicht der Kirche. Mit Kirche meine ich in diesem Fall nicht eine bestimmte Kirche, sondern die weltumfassende Gemeinschaft aller Christinnen und Christen. Für die gilt: Wer getauft ist, gehört dazu, egal wie viele Zweifel sie oder ihn gerade plagen, oder was genau sie oder er glaubt.
Mir gefällt Ihre Herangehensweise an das Thema gut. Sie setzen sich mit der Frage nach Gott und Christentum ohne Vorurteile auseinander. Dass Sie sich von der Kirche als Institution distanzieren, ist nicht ungewöhnlich. Dass Sie nach Gott fragen und gleichzeitig an vielem zweifeln, was die Tradition berichtet, ist ebenfalls kein Grund, Sie nicht einen Christen zu nennen; eher im Gegenteil, denn es bedeutet ja, dass Ihnen Gott und Glaube nicht gleichgültig sind.
Darum lassen Sie mich Ihnen zwei Dinge deutlich machen, die Ihnen vielleicht in Ihren Gedanken weiterhelfen. Erstens: Es geht im Glauben nicht darum, möglichst alles für wahr zu halten, was in der Bibel steht. Es geht darum, ob man eine Beziehung zu Gott haben will. Sie schreiben, dass Sie sich vorstellen können, "dass es einen [Gott] gibt". Das ist ein guter Ausgangspunkt. Die Frage, die aber noch wichtiger für Sie werden sollte, ist diese: Was soll Gott sein für Sie? Das Bedeutende an einem Glauben ist ja nicht, dass man annimmt, es gäbe einen Gott, sondern dass man Gott in das eigene Leben hineinholt. Das kann dadurch geschehen, dass man sich an dem orientiert, wofür der Glaube an Gott steht: Am Gebot der Nächstenliebe zum Beispiel. Oder es geschieht durch Gebete. In jedem Fall ist Glaube kein schieres Akzeptieren von etwas Göttlichem. Es ist eine Auseinandersetzung mit der Vorstellung, dass es etwas außer uns selbst gibt, das unser Leben wichtig macht.
Zweitens: Glauben ist nicht wirklich eine Privatsache. Natürlich ist es höchst individuell, wie jeder Mensch glaubt, aber Glaube formt eben auch Gemeinschaften, in denen man den gemeinsamen Glauben lebt, sich gegenseitig unterstützt, infrage stellt, begleitet, korrigiert... Eben alles, was eine gute Gemeinschaft ausmacht. Das ist es, was die Kirche gern sein möchte. Dass sie in der Realität durchaus Macken und Probleme hat, die so gar nicht in dieses Wunschbild fallen, ist einerseits natürlich ärgerlich, aber andererseits auch sehr verständlich, denn – wie gesagt – die Kirche besteht aus Menschen, und die sind, wie sie sind, auch wenn sie sich eigentlich an Maßstäben orientieren, die wesentlich mehr verlangen.
Gerade darum mag ich es, wenn Menschen wie Sie dazugehören, weil Sie nicht einfach hinnehmen, sondern abwägen. Darum noch einmal und zusammenfassend: Nichts von dem, was Sie über sich selbst schreiben, stellt Sie außerhalb des Christentums. Sie selbst müssen und dürfen entscheiden, wie sehr Sie dazugehören möchten.
Sehr herzliche Grüße
Frank Muchlinsky