Der Prophet Elias und die Ermordung der Baalspriester

H.S.

Sehr geehrter Herr Bezold, neulich hörte ich in einem Konzert das erste Mal den kompletten Elias von Mendelsohn-Bartholdy. Zu einem großen Teil erschließt sich mein (immer auch leicht zweifelnder) Glaube über die geistliche Musik. Mehr und mehr beschäftige ich mich auch mit den zugrundeliegenden biblischen Texten. Als ich im Programmheft von der durch Elias angeordneten Tötung der 450 Baalspriester las, war ich einigermaßen geschockt. Ich habe gegoogelt und diverse Texte und Interpretationen dazu gefunden, verstehe dieses Gemetzel, das ja mit der Nächstenliebe, der Feindesliebe, dem 5. Gebot usw. nichts zu tun haben dürfte, trotzdem nicht. In Texten heißt es, Elias sei nach seinem "Erfolg" in eine Art Depression oder Burnout gefallen. Wie verstehen Sie das Ganze? Ganz herzlichen Dank im Voraus für Ihre Antwort! H.S.

Liebe Frau H.S.,

 

wenn Sie den Elias gehört haben, wissen Sie, wie Mendelssohn sich den Propheten vorgestellt hat: Als tatkräftigen, kämpferischen Mann, der sich für seinen Gott einsetzt und ohne Rücksicht auf Verluste gegen alle fremden Götter und deren Verehrer vorgeht. Das macht das dramatische Stück hörbar deutlich und zeigt, dass die Erzählung Mendelssohn tief bewegt hat. Der Text wird spürbar, der Prophet sichtbar und durch die dynamische Komposition geht die Bibel unter die Haut. Wie Sie dem Programmheft und auch der Bibel entnehmen können, ist die Vorlage der Elia-Erzählung wirklich dramatisch und brutal. Mendelssohn hat sich lange mit der Erzählung beschäftigt und die Passagen sehr gut gekannt. Ihre Frage nach der Gewalt in der Erzählung berührt Themen, die wir schon an anderer Stelle (Link 1 und Link 2) besprochen haben. Trotzdem möchte ich Ihnen gerne meine Perspektive auf diese Erzählung vorstellen.

 

Die Erzählung ist eine Beispielerzählung, die auf drastische Weise erzählt, dass einzig und allein JHWH der eine Gott Israels ist. Elia ist ein Prophet dieses einen Gottes. Schon sein hebräischer Name drückt das aus: El-i-jahu bedeutet „Mein Gott ist JHWH“. Elia und die mit ihm verbundenen biblischen Erzählungen umkreisen dieses Thema, das Mendelssohn so mächtig inszeniert hat. Es geht um das erste Gebot und um die Macht JHWHs. Es geht nicht vorrangig um das Abschlachten von anderen Menschen, auch wenn diese Erzählung diese grausame Vorstellung als erschreckendes Motiv verwendet. Kurz zuvor in der Erzählung (1Kön 18) kam es zu einem Wettstreit: Elia (und damit JHWH selbst) gegen 450 Propheten des Gottes Baal, den man zu dieser Zeit ebenfalls verehrt hatte. Es geht darum, ein Opfer auf Holz ohne Feuer zu entzünden, nur durch das Anrufen des Namens des jeweiligen Gottes. „Der Gott, der mit Feuer antwortet, der ist Gott.“ (1Kön 18,24). Als LeserInnen erwarten wir eigentlich, dass ein Gott, der von 450 Propheten beschworen wird, die besseren Chancen hätte. Doch deren Ruf bleibt erfolglos. Auf Elias Rufen nach JHWH fällt Feuer vom Himmel, woraufhin die umstehende Menge bekennt: „Der HERR (JHWH) ist Gott! Der HERR (JHWH) ist Gott!“ Die 450 Baalspropheten wurden so als Falschpropheten erwiesen, die die Menschen getäuscht haben. Elia lässt die 450 Propheten dann töten. Er hält sich damit an ein Gesetz aus dem 5. Buch Mose (Dtn 13,6), das besagt, dass Propheten, die Abfall von JHWH predigen, getötet werden sollen.

 

Diese Gewalt und solche Gebote haben – damit haben Sie ganz Recht – nichts mit dem Nächstenliebegebot, dem lieben Gott oder dem 5. Gebot zu tun. Sie berichten auch nicht unbedingt davon, wie Gott ist oder wie er möchte, dass wir uns ihn vorstellen. Sie provozieren manchmal unsere Ablehnung. Die Erzählung ist eine Erzählung aus einer Zeit, in der man mit aller Kraft versucht hat, den einen Gott von den anderen Göttern der Umwelt abzusetzen. Sie ist eine Beispielerzählung, deren Fokus nicht auf den toten Baalspropheten liegt, sondern einzig auf der Idee, dass der eine Gott sich durchsetzt und alle anderen keine Chance haben. Ich persönlich glaube, dass die Passage symbolisch gemeint ist und durchaus unterhaltsam sein soll. 450 Propheten scheitern an einer einfachen „Feuerprobe“ und verlieren den Wettstreit gegen einen einzelnen Propheten. Dieser ist aber ein Prophet des wahren und einzigen Gottes. Gegen ihn sind alle anderen Götter und Propheten nichts. Wörtlich nehmen können wir diese Texte oder Gebote nicht. Unser Verständnis von Nächsten-/Feindesliebe lässt das Töten von anderen Menschen nicht zu. Religiöser Eifer führt zu grausamer Gewalt, die wir ChristInnen mit Nachdruck ablehnen. Es ist also gut, dass Sie die Bibel an dieser Stelle kritisieren und die Vorstellung von Gewalt ablehnen. Das ist eine wichtige Aufgabe für uns BibelleserInnen, damit wir immer wieder kritisch mit unseren Traditionen und Vorstellungen umgehen. Für mich entscheidet sich viel daran, ob man die Erzählung wörtlich liest oder als Beispiele und Symbole. Das gilt auch für andere Texte der Bibel, wie z.B. die oft ziemlich blutigen Erzählungen der Landnahme im Josuabuch. Heute wissen wir dank wissenschaftlicher Methoden, dass es eine solche kriegerische Einnahme und die vielen Tote, von denen dort berichtet wird, nie gegeben hat, sondern dass sie ebenfalls theologische Beispielerzählungen sind. Der eine Gott besiegt seine Feinde. Diese Vorstellung hat Anlass für Erzählungen gegeben, die die Hoffnung auf Gottes Macht symbolisieren. Besonders in Zeiten, in denen man selbst wenig Grund zur Hoffnung hatte.

 

Innerhalb der Welt unserer Erzählung erscheint Elia anschließend durchaus erschöpft und hofft, in der Wüste zu sterben. Er wird aber von einem Engel mit Brot und Wasser versorgt und von Gott ermuntert, sich weiter für den Glauben an den einen Gott einzusetzen. Von einem „Burnout“ würde ich nicht sprechen. Vielmehr wird erzählt, dass Elia erschöpft ist, weil das Volk auch nach der radikalen Szene am Berg Karmel immer noch nicht an den einen Gott glaubt und Elia töten will. Die Ausrottung der Baalspriester wird in der Welt der Erzählung positiv dargestellt und ist kein Problem. Erst für uns stellt sich die Frage, wie wir diese Form der literarischen Gewalt interpretieren. Ob humorvoll, geschockt oder ablehnend: Die Bibel macht es uns oft nicht leicht und fordert uns zu kritischem Denken auf. 

 

Herzliche Grüße

Helge Bezold

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