Lieber Herr Muchlinsky,
ich bin grundsätzlich ein sehr gläubiger Mensch. Meinen Glauben lebe ich eher still für mich, z.B. besuche ich den Gottesdienst nicht regelmäßig und habe auch kein tägliches Betritual. Allerdings ist für mich jeder Besuch in unserer Dorfkirche, in der ich getauft und konfirmiert wurde, in der wir geheiratet haben und in der meine Töchter getauft wurden, immer eine Art Heimkommen, geborgen sein, sich wohlfühlen.
Ich mir eigentlich ziemlich sicher, dass da jemand ist, dass es einen Gott gibt! Gegenüber meinem Mann, der eher der Wissenschaft zugewandt ist, verteidige ich meinen Glauben vehement.
Allerdings sind nun in meinem Bekanntenkreis Dinge geschehen, die mich zweifeln lassen. Ein Familienvater, Ende Dreißig kam bei einem schrecklichen Arbeitsunfall ums Leben, und ein anderer Familienvater, Mitte Vierzig ist einem langen Krebsleiden erlegen.
Wo ist denn hier Gott? Was denkt „er“ sich denn dabei? Ist das eine Prüfung für die Angehörigen?
Die beiden Fälle haben mich ins Straucheln gebracht...
Haben Sie mir hierzu eine Erklärung? Eine Antwort? Einen Gedanken?
Vielen Dank und herzliche Grüße!
Katharina
Liebe Katharina,
es tut mir sehr leid um die traurigen Todesfälle in Ihrer Bekanntschaft. Und für Sie tut es mir leid, dass Sie gerade am "Straucheln" sind. Das ist ein wohl sehr passender Ausdruck für das, was Sie gerade empfinden. Es ist ausgesprochen unangenehm, wenn man das Gefühl hat, einen Halt zu verlieren, auf den man sich bislang verlassen hat.
Ich denke allerdings, was Sie straucheln lässt, ist nicht der Zweifel an Gott oder dem Glauben an sich. Ich denke, dass Sie Ihnen vor allem eine bestimmte Art zu glauben erschüttert worden ist. Sie beschreiben das so, dass Sie sich "ziemlich sicher (sind), dass da jemand ist." Sie schreiben nicht, was dieser jemand Ihrer Meinung nach tut oder welche Beziehung Sie zu diesem jemand haben. Ich kann mir aber vorstellen, dass Sie sich gern auf Gott verlassen möchten. Sie stellen sich den "Jemand" wahrscheinlich als jemanden vor, der die Menschen behütet. Denn Sie schreiben ja, dass die Unglücksfälle Sie ins Straucheln gebracht haben. Gott, wie Sie ihn sich vorstellen, hat Sie enttäuscht, weil er zugelassen hat, dass diese armen jungen Menschen gestorben sind.
Vielleicht haben Sie sich selbst noch gar nicht so genau ausgemalt, wie Sie sich Gott vorstellen. Anscheinend haben Sie auch wenig Gelegenheit, sich mit anderen darüber auszutauschen, was genau Sie glauben. Stattdessen müssen Sie Ihren Glauben häufig einfach verteidigen. Sie wünschen sich von mir einen Gedanken, der vielleicht hilft im Straucheln, und ich möchte Ihnen gern folgende Gedanken schreiben:
Erstens: Gott ist nicht so, wie wir ihn gern hätten. Es hat nie eine Zeit gegeben, in der es weder Leid noch Tod gegeben hätte. Und wir Menschen haben auch niemals versprochen bekommen, dass es anders sein würde - zumindest nicht, solange diese Welt, wie wir sie kennen, existiert. Gott ist nicht der Verhinderer von allem Unglück. Aber er hat versprochen, uns im Unglück zu begleiten, uns nicht allein zu lassen, selbst wenn alle Menschen uns verlassen, und sogar selbst im Tod.
Zweitens: Wenn Sie von Gott enttäuscht sind, können Sie ihm das durchaus sagen. Das ist eine wunderbar heilsame alte Tradition unseres Glaubens. Die Klagepsalmen des Alten Testaments stellen dieselben Fragen wie Sie, allerdings stellen sie diese Fragen nicht an einen anderen Menschen, sondern sie wenden sich direkt an Gott: "Gott, warum lässt Du das zu?" "Wo, warst Du, Gott?" "Du bringst mich um!" "Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?" Sie schreiben, dass Sie nicht täglich beten, aber das müssen Sie auch nicht unbedingt. Sie dürfen beten, wenn Ihnen danach ist, und ich empfehle Ihnen: Sprechen Sie Ihren Zweifel und Ihre Angst und Ihren Schmerz über die Verluste laut aus! Und dann hören Sie in die Stille hinein. Vielleicht bekommen Sie dann nicht von mir, sondern von Gott selbst eine Antwort, die Ihnen wirklich wieder besseren Halt gibt.
Drittens: Suchen Sie die Gemeinschaft mit Leuten, die das Straucheln kennen! Wer zweifelt und schwankt, sollte am besten jemanden suchen, der dieses Gefühl kennt. Mit anderen Worten: Wenn Sie über Ihren Glauben mit jemandem reden, dann tun Sie das auch mit Menschen, die Ihren Glauben teilen. Vielleicht können Sie sich austauschen über Ihre Fragen und gemeinsam versuchen, Antworten zu finden.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen ein paar Haltepunkte nennen. Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall alles Gute!
Frank Muchlinsky