Ich bin schon 57 Jahre alt, kürzlich ist meine Mutter gestorben, ganz plötzlich. Ich vermisse sie sehr und jetzt habe ich in einer Ihrer Beiträge den Begriff Ganztodtheorie gelesen. Wenn das so stimmt, dann würde das bedeuten, dass meine Mutter jetzt gar nicht mehr hört, wenn ich mit ihr spreche - ich tue das oft, gerade auf dem Friedhof. Und ich kann mich mit dem Gedanken, dass sie jetzt ganz tot ist, nicht anfreunden. Wann wird sie denn von Gott aufgeweckt? Sie hätte nach einem schweren Leben sicher so etwas wie ein Paradies verdient.
Lieber Gerry,
ganz herzliches Beileid zum Tode Ihrer Mutter! Es ist noch nicht lange her - und Sie machen sich nun um vieles Gedanken, was Ihre verstorbene Mutter betrifft und den Kontakt zu ihr.
Ich möchte Ihnen zweierlei antworten:
- zum Ersten: Sie dürfen alles denken, hoffen und glauben, das Ihnen in den Sinn kommt! Sie brauchen sich nicht durch Theorien Ihre Hoffnungen beschneiden lassen. Ihre Trauer gehört Ihnen allein - und wenn Sie gern auf dem Friedhof am Grab mit Ihrer Mutter sprechen, dann tun Sie das bitte auch weiterhin! Auch ob Ihre Mutter in einem Paradies sein wird, wird nicht von uns Menschen entschieden. Wir dürfen diese Dinge glauben und hoffen und Sie können diese Bitte auf jeden Fall in Ihr Gebet einschließen. Das nimmt Ihnen niemand!
- zum Zweiten möchte ich ein wenig versuchen, die Dinge zu ordnen, die so schwierig sind, weil es eben auch wirklich nur "Theorien" sind, weil wir ja hier letzlich über Dinge sprechen, die niemand von uns Lebenden je erfahren hat. Was mit uns ganz konkret nach dem Tod passiert, müssen wir unserem Vertrauen und unserem Glauben überlassen. Doch trotzdem, lieber Gerry, möchten Sie es genauer wissen, wenigstens das, was Theologen darüber diskutieren. Christen und auch Menschen sehr vieler anderer Religionen nehmen an, dass jeder Mensch eine Seele hat und diese Seele auch unsterblich ist. Einige evangelische Theologen haben im 20. Jahrhundert andere Gedanken entwickelt: Sie betonten, dass es keine unsterbliche Seele geben könne, wenn wir die Auferstehungshoffnung so verstehen, dass im Tod der ganze Mensch stirbt und damit auch am jüngsten Tag der ganze Mensch wieder aufersteht. In der "Zwischenzeit" aber ist in dieser Theorie der einzelne Mensch trotzdem nicht "verschwunden", sondern wird von Gott in Erinnerung gehalten - bis Gott diesen Menschen neu erschafft, bzw. auferweckt. Nun wird es kompliziert, denn hier an diesem Punkt scheiden sich schon wieder die Geister. Ein anderer Grundsatz nämlich besagt, dass ein Lebewesen nicht vorübergehend aufhören kann zu existieren und hinterher als „dasselbe“ wieder ins Leben gerufen werden kann, auch nicht durch Gott. Und damit beginnt eine höchst komplizierte Disskussion unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Sie, Gerry, natürlich auch nachlesen können (Stichwort Eschatologie )
Ich finde ganz persönlich, dass solche wissenschaftlichen Diskussionen sehr interessant sind - aber wenn man persönlich vom Verlust eines lieben Menschen betroffen ist, wird doch alles Mögliche unwichtig, was sich da an Theorien auftürmt. Wichtig ist, wie man mit dem Verlust leben kann. Und als evangelischer Christ ist Ihnen nicht vorgeschrieben, was Sie über das Weiterleben der Seele Ihrer Mutter denken sollen. Im Glauben haben Sie die Freiheit, Ihren eigenen Kopf und Ihre Seele zu befragen!
Ich wünsche Ihnen, dass Sie Trost finden und dass Sie die Gewissheit erlangen, dass Ihre Mutter in Gottes Hand ist. Damit ist sie auf jeden Fall gut aufgehoben und geborgen!
Herzliche Grüße
Veronika Ullmann