Lieber Herr Muchlinsky,
früher habe ich stets geglaubt, dass der erste und wichtigste Wert
die Liebe ist, und der Wert Vertrauen in dieser Liebe inkludiert ist.
Nun stelle ich zunehmend fest, dass Vertrauen ggf. doch ein
unabhängiger Wert für sich ist und sogar durch sein Vorhanden-
Sein die Liebe erst begründen kann und festigen wird.
Welche von beiden Thesen erscheint Ihnen plausibler?
Herzlichste Grüße,
Thomas Albert Grametzki
Lieber Herr Grametzki,
zu Ihrer Frage habe ich beim Nachdenken und Nachlesen viele verschiedene Ansätze gefunden. So wird es Ihnen gehen, wenn Sie Freunde und Bekannte nach ihrer Meinung zu Ihrer Frage fragen - die Antwort wird immer ein wenig unterschiedlich ausfallen. Denn wenn man Ihre Frage ganz persönlich nimmt, dann spielen Lebenserfahrungen hier hinein. Vertraue ich, weil ich liebe und ist das Vertrauen auch in meiner Liebe - oder vertraue ich erst und lerne dann, zu lieben?
Im Feld menschlicher Beziehungen gilt sicher: Wen ich liebe, dem vertraue ich auch. Aber nicht alle, denen ich vetraue, liebe ich.
Schauen wir wir das Verhältnis von Liebe und Vertrauen im Licht von Bibel und Christentum an, so können wir von einem eindeutigen Vorschuss an Liebe von Gottes Seite aus ausgehen:
Im 4. Kapitel des 1. Johannesbriefes im Neuen Testament geht es viel um die Liebe Gottes und das, was wir darauf erwidern können.
Die Liebe kennt keine Furcht, sondern die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht. Denn Furcht rechnet mit Strafe. Bei dem, der sich fürchtet, ist die Liebe noch nicht an ihr Ziel gelangt.(1.Joh. 4,18)
Furcht - das möchte ich hier als Gegenteil von Vertrauen sehen und so beschreibt der Vers, dass die christliche Liebe das Vertrauen nährt und die Furcht vertreibt.
Zur "Reihenfolge" würde ich mich so entscheiden: Gottes Liebe geht unserer Liebe voraus. Gott liebt uns zuerst.Damit inspieriert er unsere Liebe. Ein Ausdruck dieser Liebe ist Vertrauen. Wir als Menschen, die wir nicht zu einer solchen Liebe fähig sind, wie sie Gott uns entgegen bringt, werden immer wieder unsere Liebe am Vertrauen messen. Je mehr wir vertrauen können, umso sicherer können wir lieben. Unerschöpflich und völlig ohne Vertrauensbeweise lieben - so liebt nur Gott uns Menschen.
Freundliche Grüße
Veronika Ullmann