Warum begegnen uns die Gaben des Heiligen Geistes nicht?

Maria
Integrative Gemeindegruppe
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Guten Tag, 
in der Bibel lese ich, dass Christen nach der Auferstehung von Jesus Christus dazu befähigt wurden, in seinem Namen Dämonen auszutreiben, Kranke zu heilen, in fremden Sprachen zu sprechen usw. Nun ist mir aufgefallen, dass mir so etwas seit über 40 Jahren, hier in Deutschland, so gut wie noch nie begegnet ist. Woran liegt's?

Liebe Maria,

ja, diese Frage liegt nah: Warum bleibt der christliche Glaube hinter dem zurück, was er uns verspricht? Diese Frage quälte schon die ersten Gemeindeglieder, die hofften auf die unmittelbar bevorstehende Wiederkunft Christi und warteten vergebens. Sie fragen uns, das Fragen-Team der evangelischen Kirche: Woran liegt's? Meine erste Antwort an Sie: Der Horizont, den die christliche Hoffnung eröffnet hat, ist immer weiter gespannt als das, was sichtbar in der Realität passiert. Das gehört zum Glauben: Die Erwartung ist deutlich größer, als der Alltag einlösen kann. 

Vermutlich beziehen Sie sich mit Ihrer Frage auf den 1. Korintherbrief Kapitel 12. Der Apostel Paulus schreibt: Gott gab "die Kraft, Wunder zu tun, dann Gaben, gesund zu machen, zu helfen, zu leiten und mancherlei Zungenrede." ( 1. Kor 12,28b)  Und Sie fragen, wo Sie diese Kraft heute bei uns erleben können. 

Zunächst bin ich erleichtert, dass es vierzig Jahre gedauert hat, bis Sie das als Mangel in Deutschland festgestellt haben. Meine zweite Antwort an Sie (natürlich mit einem Augenzwinkern): Wer vierzig Jahre Zeit braucht, ein Defizit zu bemerken, hat in den vierzig Jahren zum Glück nur wenig vermisst. 

Trotzdem liegt Ihre Frage nah. Ich bin davon überzeugt, dass der Apostel versprochen hat, was - für uns häufig unsichtbar -, tagtäglich passiert. Die Bereitschaft, aus christlich begründeter Überzeugung Menschen zu helfen, Schmerzen zu stillen, Leid zu lindern, Krankheiten zu heilen, bewegt mehr Menschen, als man auf den ersten Blick sieht. Auch die Fähigkeit in unseren Kirchengemeinden Sprachgrenzen zu überwinden ist ausgeprägter, als man auf den ersten Blick sieht. Gerade in den Kirchengemeinden gelingt es immer wieder Menschen, die als Fremde zu uns kamen, erfolgreich zu integrieren. Aber auch wenn man die selbe Muttersprache spricht, braucht es die Gaben des Geistes: Der Glaube macht es einfach leichter, anderen Meinungen und fremden Überzeugungen Gehör zu schenken. Ich bin davon überzeugt, dass das Zungenreden - auf einem leisen und verständlichen Niveau - in unserer Kirche aktiv gepflegt wird. Am Schluss des Abschnitts, auf den Sie sich beziehen, schreibt der Apostel: "Strebt aber nach den größeren Gaben! Und ich will euch einen noch besseren Weg zeigen." (1. Kor 12,31) Jetzt schließt er nahtlos sein "Hohes Lied der Liebe" an.  "Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle." (1. Kor 13,1) Hier meine dritte Antwort an Sie: Seien Sie sicher, die Fähigkeiten, Menschen in Krankheitszeiten heilend zu unterstützten, Sprach- und Verständnisgrenzen zu überwinden, ist ausgeprägter und tiefer entwickelt, als man auf den ersten Blick manchmal denkt.

Der Glaube lebt mit weniger krachendem "Wow-Effekt" als mit dem etwas leiseren Effekt, den die selbstlose Liebe tagtäglich in unseren Familien, Freundeskreisen und Kirchengemeinden freisetzt. 

Ich danke Ihnen für Ihre Frage und wünsche Ihnen eine gesegnete Passionszeit und ein von Christi Gegenwart erfülltes Osterfest. 

Ihr Henning Kiene 

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