Gibt es Kreuzwege auch in der evangelischen Kirche?

Paula Buß
Der evangelische Propst Ralf Meister (li) und sein katholischer Amtsbruder Franz Mecklenfeld trugen am Karfreitag auf dem ältesten Kreuzweg Deutschlands durch die Lübecker Altstadt ein Holzkreuz.
Der evangelische Propst Ralf Meister (li) und sein katholischer Amtsbruder Franz Mecklenfeld trugen am Karfreitag auf dem ältesten Kreuzweg Deutschlands durch die Lübecker Altstadt ein Holzkreuz./ / ©epd-bild/Thomas Morell

Guten Tag Frau Scholl,

gibt es in der evangelischen Kirche auch einen Kreuzweg (ähnlich wie in der katholischen Kirche)?
Ich benötige diese Info für den Religionsunterricht.

Vielen Dank,

Paula

Liebe Paula,

 

vielen Dank für Ihre Frage. Die Kreuzwege sind eine Möglichkeit sich in die letzten Stunden Jesu bis zu seinem Tod am Kreuz gleichsam hineinzubegeben und dabei dem Leidensweg Jesu auf besondere Weise nahe zu kommen. Wenn Sie sich einmal die biblischen Passionserzählungen (z. B. Mk 15-16) anschauen, werden Sie merken, dass diese letzten Stunden Jesu ein Weg sind, der über verschiedene Stationen führt.

 

Im 12. Jh begannen Gläubige damit, diesen Weg in Jerusalem entlang zu gehen und sich dabei an das Leiden und Sterben Jesu zu erinnern.  So entstand die „Via Dolorosa“, ein Stationenweg vor den Wallfahrtskirchen. Angefangen hat es mit zwei Stationen, nämlich dem Haus des Pilatus als Ort der Verurteilung und der Grabeskirche als Ort der Kreuzigung und Grablegung.  Nach und nach kamen dann immer mehr Stationen dazu, an denen einzelnen Begebenheiten auf Jesu Weg zum Kreuz bestimmten Orten zugewiesen wurde (Geißelung, Verurteilung etc.). Einige von diesen Stationen sind biblisch und andere entstammen Legendenbildungen.

 

Pilger, die aus Jerusalem wieder in ihre Heimat kamen, haben dann Kreuzwege nach diesem Jerusalemer Vorbild  an ihren Heimatorten angelegt. Manchmal hatten diese sogar ganz exakt die Länge der Via Dolorosa in Jerusalem. So konnten dann Menschen, die nicht bis nach Jerusalem reisen konnten, die Kreuzwege in ihrer Heimat abschreiten und sich so in das Geschehen um die Passion Jesu hineinversenken.

Zuerst hatte ein traditioneller Kreuzweg 7 Stationen. Seit 1600 aber kreierten die Franziskaner-Mönche den Kreuzweg mit 14 Stationen. Seit 1975 betet der Papst einen solchen Kreuzweg an Karfreitag beim Kollosseum in Rom.

 

Der Katholizismus hat ja einen reichen Schatz an Traditionen, bei denen es darum geht, wie etwas äußerlich und bildlich sichtbar wird von Gottes Gegenwart in der Welt (Reliquien, Prozessionen etc.) oder solche, die den Leib des Gläubigen mit hineinnehmen (Wallfahrten, Weihrauch etc.). Der Protestantismus setzt etwas mehr auf die Innerlichkeit und die Worte. Martin Luther hatte Sorge, dass es irgendwann nur noch darum geht, rein äußerlich Handlungen zu vollziehen, mit denen man innerlich vielleicht garnichts mehr anfangen kann.

 

Trotzdem ist es ja so, dass wir vor derselben Frage stehen wie katholischen Christinnen und Christen: Wie können wir uns der Passion Jesu nähern und dabei spüren, dass Jesus diesen Weg gegangen ist aus Liebe zu jeder und jedem Einzelnen von uns? Wie lässt sich spüren, dass wir selbst Teil dieser Geschichte sind?

 

Da es bei solchen Fragen nicht nur darum geht, etwas abstrakt zu wissen, sondern auch darum, es zu fühlen und am eigenen Leibe zu spüren, lernt auch der Protestantismus wieder neu, dass auch Sichtbares und Spürbares zum Glauben dazugehört. Und so findet man die Praxis der Kreuzwege auch in der evangelischen Kirche.

 

In manchen Kirchengebäuden werden in der Passionszeit Kunstwerke platziert, so dass man beim Gang durch den Kirchenraum die Stationen des Leidensweges Jesu abschreitet. Es gibt Kreuzwege extra für Kinder, damit sie sich der Geschichte annähern können. Auch ökumenisch werden Kreuzwege miteinander gestaltet und gegangen. So haben bsw. in den 1980er christliche Gruppen begonnen miteinander den „Kreuzweg für den Frieden“ auf dem Areal des  Konzentrationslagers Buchenwald zu gehen. Hier waren die Stationen einzelne Orte, die jeweils an eine Opfergruppe des Lagers erinnerten.

 

Gerade bei dem letzten Beispiel zeigt sich ganz gut, das die Bewegung eine doppelte ist. Einerseits geht es darum, sich beim gehen des Kreuzweges in die Passionsgeschichte hinein zu versetzen. Gleichzeitig geht es aber auch darum, diese Geschichte des Leidens und Sterbens Jesu in unseren Zeiten zu holen, gerade an die wunden Punkte unseres Lebens und unserer Geschichte. Denn gerade das ist es ja, was die Erzählungen vom Leiden und Sterben Jesu zeigen: Gott lässt uns Menschen nicht allein, er ist da, auch im tiefsten Unheil und im größten Schmerz. 

Jetzt hab ich Ihnen ganz viel geschrieben und hoffe, das hat Ihnen weitergeholfen hat. Viel besser als durchs Lesen lernt man aber etwas über Kreuzwege mit den Füßen. Wenn Sie in der Passionszeit nächstes Jahr mal Gelegenheit haben, dann gehen Sie doch mal einen Kreuzweg bei sich in der Nähe. Ich wäre gespannt, was Sie dabei für Erfahrungen machen. 

 

Herzlich

Katharina Scholl

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