Lieber Pastor Muchlinsky,
was versteht man eigentlich unter "Evangelischer Kirchenmusik"? Unser evangelischer Kirchenmusikdirektor leitet in der Kirchengemeinde diverse Kinder-Jugend-Schul-Altersgemischte Kantoreien - und eine Seniorkantorei. Die Sängerinnen und Sänger sind aber weder konfessionell noch lokal streng an die Kirchengemeinde gebunden, singen aber wie die Zeiserl (Vogelsorte) zu allen möglichen Anlässen in den evangelischen Kirchen. Deshalb frage ich mich, was evangelische Kirchenmusik eigentlich sein soll? Ich meine, kann man eigentlich vertrauenswürdig evangelisch singen, was immer das auch sein soll, obwohl der Sänger/in beispielsweise ein Buddhist ist und der Erstwohnsitz sich in China befindet? Wieso sagt man zu einem Kirchenchor eigentlich Kantorei?
Habe ich irgendwas verpasst?
Liebe "Gast",
vielen Dank für Ihre Frage! Ich habe mir erlaubt, sie einen einen Profi weiterzuleiten, an den Landeskirchemusikdirektor Hans-Jürgen Wulf. Herr Wulf war so freundlich, Ihre Frage zu beantworten. Hier ist, was er schrieb:
Liebe Frau …
Um mit Ihrer letzten Frage zu beginnen: Unter Kantorei verstehen wir heute als Überbegriff die gesamte Chorarbeit einer Kirchengemeinde mit all ihren verschiedenen Gruppen. Häufig wird der Begriff aber auch nur als lateinisches Synonym (cantare, lat. für singen) für eine singende Gruppe, einen Chor benutzt. Seine Wurzeln hat der Begriff in den Anfängen evangelischer Kirchenmusik nach der Reformation.
Die besondere evangelische Tradition der singenden Gemeinde ist ein Erbe Martin Luthers. Die aktive Beteiligung der Gemeinde am gottesdienstlichen Geschehen ist eine zentrale Errungenschaft der Reformation. Und diese Beteiligung erfolgt besonders intensiv über das Singen. Der Gemeindegesang ist bis heute wichtiger Teil unserer Gottesdienste und das aktive Musizieren in den Gemeinden ist ausgehend von den ersten Kantoren (=Chorleitern) nach der Reformation, wie Johann Walther, Heinrich Schütz u.a., ein besonders wichtiger und prägender Teil unseres gemeindlichen Lebens und ein "Markenzeichen" der evangelischen Kirche geworden.
Wer in unseren Chören musiziert, stellt sich beim Musizieren in Gottesdienst und Konzert freiwillig in den Dienst der evangelischen Kirchenmusik. Darunter verstehen wir die Verkündigung des Wortes Gottes mit den Mitteln der Musik.
Die kirchenmusikalische Arbeit mit fast allen Altersgruppen ist für viele Menschen sehr attraktiv. Das gilt für aktiv Musizierende wie für die Zuhörerinnen und Zuhörer. Es gibt gar nicht so wenige Menschen, die sich nur über die Musik der Kirche oder zumindest dem Glauben oder der Bibel verbunden fühlen oder annähern. So ist die Kirchenmusik auch ein Bereich der unmittelbaren Berührung mit der biblischen Botschaft, in dem über man Nähe und Distanz selbst entscheiden kann. Dazu passt die Offenheit vieler Chöre, in denen Menschen unterschiedlichster Herkunft miteinander singen, in denen ganz praktisch Ökumene praktiziert und bei Interesse an der Mitwirkung nicht als erstes nach der Taufurkunde etc. gefragt wird.
Herzlichen Gruß
Hans-Jürgen Wulf
im Sprengel Schleswig und Holstein
und im Sprengel Hamburg und Lübeck