Sehr geehrter Herr Lilie,
ich habe sehr große Achtung davor, dass Sie so viel Zeit investieren, alle Anfragen zum Thema Flüchtlinge zu beantworten.
Da Sie die abschließende Frage in meiner letzten Anfrage nicht direkt beantwortet haben, erlaube ich mir noch einmal nachzuhaken. Wenn ich Ihre Antwort unter "Sprachprobleme" richtig interpretiere, war Ihre implizite Antwort: Ja, wir haben als Deutsche kein Recht mehr, auf eine Heimat in deutscher Kultur und Sprache.
Ich sehe das anders als Sie. Ich denke, wir haben durchaus das Recht, unsere Hilfe für Flüchtlinge so zu gestalten, dass wir bei unserer eigenen Kultur bleiben können. Denken Sie bitte an den barmherzigen Samariter. Auch er gestaltet seine Hilfe so, dass er sein eigenes Leben weiterführen kann.
Viele Grüße
J.U.Bader
Sehr geehrter Herr Bader,
selbstverständlich haben wir ein Recht auf Heimat, Kultur und Sprache. Nur besitzen alle Menschen ein unverlierbares Anrecht darauf, eben ein Menschenrecht, das die freie Entfaltung der Persönlichkeit garantiert. Nach meiner Auffassung muss auch die deutsche Gesellschaft auf der Grundlage des Grundgesetzes immer wieder neu aushandeln, wie die unterschiedlichen Lebensstile, kulturellen Prägungen und Werte ihrer Mitglieder zu einer kulturellen Identität, wenn Sie wollen zu einer Heimat für alle Bürgerinnen und Bürger, aber eben auch für die Asylsuchenden und Schutzbedürftigen werden. Dabei gilt die goldene Regel, dass die Ausübung der eigenen Freiheitsrechte mit der Einschränkung der Freiheitsrechte Dritter ihre Grenze erfährt. Auf diese Weise eröffnet sich ein wunderbarer und lebendiger Raum der Freiheit, der nach menschenwürdiger Gestaltung ruft. Unsere Sprache und unsere Kultur ist in der Vergangenheit durch solche Prozesse zu einem Reichtum gelangt, der ohne " fremde" Einflüsse nie entstanden wäre. Sprache und Kultur entwickelt sich, sind immer im Werden. Das Christentum wäre ohne seine jüdischen Wurzeln, die altgriechische Philosophie und die Einflüsse der islamischen Denker heute nicht das, was es ist und es entfaltet - Gott sei Dank! - bis heute seinen konfessionellen und kontextuellen Reichtum und seine menschenfreundliche Vielfalt. Ich ängstige mich nicht davor, ich freue mich an dieser Vielfalt und empfinde sie als ' geistige Heimat'.
Herzliche Grüße!
Ihr
Ulrich Lilie