Ich habe einen Schwur gebrochen

Susanne Richter
Schwur
© Chris Ryan/istockphoto/Getty Images

Sehr geehrter Herr Muchlinsky,

ich bin katholisch, aber denke, dass die Antwort keinen Unterschied machen wird oder?
Mein Problem wird vielleicht etwas seltsam klingen, aber für mich ist es ziemlich ernst.
Ich bin seit Jahren kaufsüchtig, und habe viele Jahre viel Zeit in Online Shopping investiert, das meiste dann auch wieder zurückgeschickt, weil ich das Geld gar nicht hatte. Es verging kaum ein Tag, an dem ich kein Paket bekam, der Postbote, meine Familie, und dann auch die Postfiliale schmunzelten schon über mich, dass ich nicht mehr normal bin etc. Ich habe die Pakete versteckt, und bin teilweise verschiedene Postämter für sie Retouren abgefahren, weil ich mich schon geschämt habe. Außerdem habe ich eine Zwangsstörung, mit 14 fing es mit Panikattacken an, Zählzwänge, Rituale, Kontrollzwänge, und wahnsinnige Verlustängste, da mir der Zwang immer sagt, wenn ich das und das nicht mache, passiert meinen Kindern etwas, früher sagte mir der Zwang, ich werde ohnmächtig, oder mir wird schwindlig in ungünstigen Situationen, davor hatte ich panische Angst, hilflos und ausgeliefert zu sein. Da es mir schon einmal passiert war, dass ich vor ziemlich vielen Menschen ohnmächtig wurde, damals mit 14, und die Kontrolle verlor, es war mir so peinlich, deswegen habe ich immer dem Zwang nachgegeben, aus Angst, es könnte nochmal passieren. Ich war sehr übergewichtig als Kind, hatte kaum selbstbewusst sein. Es war undenkbar schlimm für mich. Heute bin ich schlank, aber selbstbewusster bin ich nicht. Seit ich Kinder habe, hat es sich vom Schwindel auf die Kinder gelegt, nun habe ich Angst, dass ihnen etwas passieren könnte, sie sind mein Ein und Alles, ich habe sie mir lange Zeit gewünscht, und als es endlich klappte, bescheidene Schwangerschaften durchgestanden. Mein Leben ohne sie kann ich mir nicht vorstellen, ich würde darüber niemals hinwegkommen. Weil ich viel zu schwach bin. Alleine sie Vorstellung macht mich zittrig. Nun habe ich, um mich selbst abzuschrecken, und sozusagen von der Kaufsucht zu stoppen, geschworen, hoch und heilig, auf das Leben meiner Kinder und meiner ganzen Familie, dass wenn ich noch einmal etwas online bestelle, meinen Kindern und allen anderen etwas passieren kann, sodass ich ganz alleine bin und alle verliere. Die erste Zeit lang war ich konsequent, dann ging die Fernbedienung kaputt, und dieses Ersatzteil bekam ich nur online, da wir ländlich wohnen.

Dann wünschte sich mein Sohn zum Geburtstag ein Spielzeug, das ich im Geschäft nicht bekam, ich habe es aber auch nicht bestellt. Ich bräuchte ein Ersatzteil für meinen Staubsauger, und traue es mich nicht zu bestellen, ich bekomme meine Haarfarbe nur übers Internet, da es hier weit und breit keinen friseurbedarf gibt, ich habe mir bereits überlegt, ob ich meine Haarfarbe ändern soll, und irgendeine Farbe aus der Drogerie nehmen soll. Ich habe für eine Bluse 15€ mehr im Laden bezahlt und ärgere mich dumm und dämlich, nur weil ich sie online zum günstigen Preis nicht bestellen durfte, aus Angst wegen meinen Kindern. Ich habe ihnen zum ersten Mal keine tolle Partydekoration zum Geburtstag bestellt, sondern nur das genommen, was es im Supermarkt gab. Und was das Klamotten bestellen betrifft, ich bestelle war keine mehr, dafür fahre ich bei jeder Gelegenheit oder Rabattaktion in die Stadt, meine Kinder müssen entweder mit und geduldig warten bis ich mich durchprobiert habe, oder ich fahre alleine, wenn einer im Kindergarten ist, der andere sitzt dann Stunden im Kinderwagen und muss mit. Aus Frust tätige ich dann Notkäufe, weil ich in den Geschäften kaum etwas finde, kaufe eine Hose 3-mal aus Angst, ich bekomme sie nirgends mehr oder bezahle viel zu viel, weil es online viel günstiger wäre. Ich habe nun tagelang gelesen, und Gott sehr oft um Vergebung gebeten, dass er mir diesen Schwur erlässt. Was ich aber nicht verstehe ist, würde Gott mir die Sünden vergeben, d.h. Das mir selbst auferlegte verbot etwas zu bestellen, oder vergibt er mir den ganzen Schwur. Sonst würde ich ja sozusagen, bei jeder neuen Bestellung wieder sündigen, wenn man den Schwur nicht mehr ändern kann. Ich habe oft gelesen, dass die Bibel sagt, dass man den Schwur um jeden Preis halten muss. Meine Kinder sind mir zu wertvoll, um sie in Gefahr zu bringen. Ich bitte sie um Hilfe, und Antwort. Ich habe sehr viel gebetet, und um ein Zeichen gebeten, falls Gott mir vergibt, bzw. den Schwur "vergisst" aber bin mir nicht sicher, ob es ok ist, künftig das nötigste wieder zu bestellen. Es klingt wahrscheinlich alles ziemlich wirr, aber ich weiß dass ich krank bin, und für mich ist es sehr belastend und ernst. Ich habe meinen Namen geändert, da ich mich schäme.
Sie würden mir mit einer Antwort sehr helfen.

Liebe Frau Richter,

lassen Sie mich das Wichste zuerst schreiben: Gott wird weder Ihnen, noch Ihren Kindern etwas zustoßen lassen, weil Sie sich an einen Schwur nicht halten. Ich bin Pfarrer und nicht Psychologe, darum kenne mich mit Ihrer Zwangsstörung nicht aus. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Ihre Kaufsucht Sie dermaßen verzweifelt gemacht hat, dass Sie mit Ihrem "Schwur" sozusagen einen Befreiungsschlag landen wollten. Nur leider haben Sie sich das Leben anscheinend nur noch schwerer gemacht. Wenn aber ich schon dafür Verständnis aufbringen kann, dass Sie so unbedacht waren, und sozusagen ihre Familie aufs Spiel gesetzt haben, dann bin ich sicher, dass Gott erst recht Verständnis dafür hat, und Ihnen diese Worte freundlich lächelnd verzeiht.

Sie schreiben, dass in der Bibel steht, dass man sich an Schwüre unbedingt halten soll. Vielleicht ist genau das der Grund, warum Jesus gesagt hat, wir sollten auf das Schwören ganz verzichten. In der Bergpredigt sagt er: "Ihr habt weiter gehört, dass zu den Alten gesagt ist: »Du sollst keinen falschen Eid schwören und sollst dem Herrn deine Eide halten.« Ich aber sage euch, dass ihr überhaupt nicht schwören sollt, weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Thron; noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füße; noch bei Jerusalem, denn sie ist die Stadt des großen Königs. Auch sollst du nicht bei deinem Haupt schwören; denn du vermagst nicht ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen. Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Bösen." (Matthäus 5,33-37)
Was Jesus hier sagt, trifft auf Ihre Situation direkt zu, so scheint es mir: Durch Ihren Schwur, ist alles nur schlimmer, böser geworden. Darum lassen Sie die Worte, die Sie da zu sich gesagt haben, hinter sich und vertrauen Sie auf Gottes Güte. Ob er Ihnen ein Zeichen gibt, das Sie auch sofort erkennen und verstehen, weiß ich nicht. Vielleicht ist es einfach die Tatsache, dass Sie eine Zeit lang ruhiger atmen können, oder sanfter schlafen. Suchen Sie nicht verbissen nach einem Zeichen, dass Gott bei Ihnen ist und Ihnen helfen will, anstatt Sie zu bestrafen. Schauen Sie lieber, was Ihnen alles an Gutem widerfährt: Wo Sie ein Lächeln sehen, wo man Ihnen eine Last abnimmt, wo man Ihnen zuhört, wo Ihre Kinder sich an Sie lehnen.

Ihre Sucht hat eine besondere Herausforderung: Man kann nicht auf das Kaufen ganz verzichten – anders als auf Alkohol oder Zigaretten. Wir alle müssen Dinge einkaufen. Und so, wie die Welt sich gerade entwickelt hat, müssen wir das teilweise auch online tun. Wie groß dieser Teil aber ist, das können Sie und müssen Sie selbst bestimmen. Sie müssen sich tatsächlich bei jedem einzelnen Einkauf fragen: "Brauche ich das jetzt tatsächlich, oder geht es auch anders?" Bei der Bluse, die Sie gekauft haben, könnten Sie sich freuen, weil Sie auf das günstigere Angebot verzichtet haben. Sie haben dem Laden vor Ort etwas Gutes getan. Bei der Haarfarbe können Sie sich überlegen, ob es nicht Zeit für einen Wandel ist, den Sie auch in einer anderen Haarfarbe ausdrücken. Wie gesagt, ich kann mir nur bedingt vorstellen, wie viel Entscheidungsmöglichkeiten Sie trotz Ihrer Zwangsstörung haben. Hilfreich wäre ab4er bestimmt, wenn Sie bei jedem Einkauf (vor allem bei  denen im Internet, weil die so besonders schnell und einfach gehen) zunächst einmal die innere Ampel auf Gelb stellen. Bei Gelb muss man anhalten. Tun Sie das und fragen Sie sich: Muss ich? Geht es anders? Warten Sie, so lange es geht und entscheiden Sie dann, ob die Ampel auf Rot springt, oder auf Grün.

Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute und vor allem Gottes Segen!

Ihr Frank Muchlinsky

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