Hallo, ich bin Mitglied einer evangelisch-lutherischen Kirche und ich verstehe das Prinzip der Beichte nicht wirklich. Ich habe gehört, das meine Kirche im Gegensatz zu anderen evangelischen Kirchen, die Beichte noch als Sakrament sieht, sie aber nicht verpflichtend ist bzw. sie einen seelsorgerischen Zweck hat. Ich habe aber auch gehört, dass man Gott seine Sünden im Gebet beichten soll, um Vergebung zu erhalten, obwohl diese Vergebung nur durch seine Gnade kommt. Wie Sie vielleicht rausgehört haben, bin ich verwirrt. Ich habe es jetzt so verstanden bzw. gehört: Grundsätzlich werden einem die Sünden auch ohne Beichte vergeben, die Beichte soll aber einen von der Schuld befreien. Vergebung würde man aber auch bekommen wenn man nie beichten würde, aber Glauben und Vertrauen würde. Also ist die Beichte nicht notwendig um Vergebung für seine Sünden zu erhalten und man muss nicht beichten. Stimmt das so oder ist die Beichte notwendig um Vergebung für seine Sünden zu erhalten, also ist sie notwendig um Vergebung für seine Sünden zu erhalten aus evangelische-lutherischer Sicht? Ich hoffe Sie können mir diese Frage beantworten, denn es macht mir schon irgendwie Sorgen. Ich bin niemand der viel betet oder viel in die Kirche oder zum Gottesdienst geht, also habe ich Angst das Gott mir meine Sünden nicht vergeben hat oder vergeben wird. Damit es nicht zu Missverständnissen kommt: Wenn ich von Beichte rede meine ich sowohl die gemeinschaftliche bzw. kollektive Beichte mit Zusprechung der Vergebung, die man im Gottesdienst hat, sowie das Bekennen der Süden und um Vergebung bitten im Gebet, als auch die Einzelbeichte, wie man sie in der katholischen und evangelischen Kirche hat. Also meine ich im Endeffekt jede Form der religiösen Beichte. Tut mir wirklich leid, dass ich so viel schreibe, ich möchte nur wirklich sicher gehen, dass es zu keinen Missverständnissen kommt. Ich habe eine Zwangserkrankung und weiß nicht so ganz wie ich mit solchen religiösen Unsicherheiten umgehen soll. Entschuldigung nochmal dafür ,dass es so viel geworden ist und danke für die Antwort. Herzliche Grüße Lars
Lieber Lars,
Ihre Frage habe ich mehrfach durchgelesen und erkenne, dass Sie zwei Fragen verbinden: Sie fragen nach der Rolle der Beichte in der evangelisch-lutherischen Tradition und in diese Frage betten Sie die grundsätzliche Frage nach der Vergebung der Sünden ein. Das sind zwei unterschiedliche Themen, die allerdings miteinander zu tun haben. Also gebe ich Ihnen mehrere Antworten. Und ganz am Ende folgt die Antwort auf die wichtigste Frage: Wie werde ich meine Schuld los?
Erstens: In der evangelisch-lutherischen Tradition ist die Beichte kein Sakrament. Anders als die Taufe und das Abendmahl hat - so sieht das der Reformator - Christus die Beichte nicht selbst eingesetzt.
Zweite Antwort: Trotzdem sucht Luther zeitlebens seinen vertrauten Beichtvater auf und praktiziert die Beichte. Aber er tut es freiwillig, sucht drängend das Wort Christi, will erleben, dass der ihn aus der Verstrickung, in die die Sünde ihn verwickelt, herauslöst. Nur Jesu Wort kann Menschen frei sprechen, genau dieses Wort Jesu Christi schenkt Martin Luther und dessen aufgescheuchtem Gewissen Ruhe. Der Beichtvater, der Luther und dessen scharfes Gewissen sehr gut kennt, richtet dieses befreiende Wort direkt an Luther. Das ist ja der Sinn der Beichte, das Gnadenwort Gottes zu hören.
Früher hatte Luther die Beichte als "reine Angst und Höllenmarter" erlebt, er hatte sein Gewissen damit gemartert, so viele Sünden wie möglich aufzuzählen, und dabei erkannt, dass niemand vollständig genug beichten kann. Jetzt bleibt dem Reformator die Beichte bei seinem Beichtvater wichtig, er schreibt im Großen Katechismus: "Wenn uns etwas Besonderes beschäftigt, dann sollen wir es einem Bruder klagen, und diese Form der Beichte soll dazu dienen, Rat, Trost und Stärkung zu holen, wann und wie oft wir wollen." Luther sucht das Beichtgespräch, erörtert während der Beichte Gewissenskonflikte, theologische Themen werden hier beraten. Es ist wie heute: Rat und Trost treten oftmals schon dann ein, wenn man das, was einen beschäftigt, einmal im Klartext ausgesprochen hat. Offene Ohren tun manchmal Wunder. Und die Reue, die Zerknirschung, die Erkenntnis der eigenen Schuld, die Bitte um Vergebung, also das, was einen bewegt, auszusprechen wirkt wie eine Art Therapie. Natürlich sagt der Beichtvater ein Bibelwort und spricht Luther frei. Absolution kommt schließlich nur aus Gottes Wort. Denn die Beichte sei - so Luther - entstanden, damit "Christus selbst die Absolution seiner Christenheit in den Mund gelegt und befohlen hat, uns von Sünden freizusprechen (vgl. Mt 18,18)." (Martin Luther, Großer Katechismus) Also: Kein Zwang, keine Angst, sondern das lösende Wort Jesu, das der Beichtvater sagt: "Dir sind deine Sünden vergeben."
Dritte Antwort: Luther benennt zwei weitere Formen der Beichte. Beichte ist "auch im Vaterunser eingeschlossen, wo wir sprechen: 'Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern' etc. Ja, das ganze Vaterunser ist nichts anderes als eine solche Beichte." Und: Es zeichne Christinnen und Christen aus, dass wir Menschen uns gegenseitig als Sünderinnen und Sünder erkennen und immer auch bei anderen Menschen um Gnade bitten. Zur Beichte vor Gott kommt die Beichte, "die jeder gegenüber seinem Mitmenschen ablegt, ... , dass wir untereinander unsere Schuld eingestehen und vergeben, ehe wir vor Gott kommen und um Vergebung bitten." (Beide Zitate auch: Martin Luther, Großer Katechismus)
Luther geht es nicht um Formalitäten, Beichtstühle, Ablassbriefe, es geht ihm um das Gewissen, das man nicht selbst entlasten kann, nur das Wort Gottes spricht Menschen frei. So wie Jesus Sünderin und Sünder in die Freiheit führt, bewirkt Gottes Wort vor allem Befreiung. Viele Menschen sagen, wenn sie etwas schlecht gemacht haben: Ich entschuldige mich. Die Reformation zeigt: Du kannst dich nicht selbst entschuldigen, jemand, dein Gegenüber, Gott entschuldigt dich. Genauer: Gott hat dich schon entschuldigt.
Nun bleibt Ihre Hauptfrage: Wie werde ich meine Schuld los? Luther kenn die Schritte: Dein Herz ist zerknirscht, du weißt genau, welche Sünde du loswerden willst, du sprichst das aus, bittest um Vergebung und tust auch alles das wieder gut zu machen. Aber: Dein Freispruch kommt aus Gottes Wort.
Vierte Antwort: Ihre Sünde ist bereits getilgt. Gott versöhnt durch Jesu ganzes Leben, durch dessen Tod und die Auferstehung die Menschen mit sich. Jesu Leben und seine Auferstehung machen die - noch immer unerschöpfliche - Liebe unseres Schöpfers sichtbar. Darum: Schuld und Sünde sind bereits getilgt bevor wir darum bitten.
Nicht Sie werden ihre Schuld und Sünde los. Gott wird sie für Sie los. Im 1. Petrusbrief wird das so zusammengefasst: "Denn auch Christus hat einmal für die Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, damit er euch zu Gott führte; er ist getötet nach dem Fleisch, aber lebendig gemacht nach dem Geist." (1. Petrusbrief 3,18)
Die Beichte ist also nicht notwendig um die Sünde loszuwerden. Notwendig ist allein Jesus Christus. Darum ist die Beichte auch kein Sakrament, sie ist hilfreich, aber Sakrament sind Taufe und Abendmahl. Und im Abendmahl heißt es: "dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden." Diese Vergebung ist Ihnen bereits widerfahren, jedes "dir ist deine Sünde vergeben", formuliert das, was Gott getan hat, für die Gegenwart neu.
Ich hoffe, dass meine vier Antworten Ihnen helfen.
Herzliche Grüße
Ihr Pastor Henning Kiene