Bibelauslegung: Sind die Speisegebote für Christen wirklich aufgehoben – oder müsste ich wie Jesus auf Schweinefleisch verzichten?

Lars
Hallo, in der Bibel wird gesagt, dass Jesus alle Speisen für rein erklärt hat, allerdings hat er sich als er das gesagt hat, gar nicht auf Speisen bezogen, sondern auf die damahlige Lehre man dürfte Essen nicht essen ohne vorher die Hände gewaschen zu haben, so heutige wissenschatflicher Erkenntnis. Also bezieht sich Markus 7,18-23, nicht auf Speisen, sondern auf diese Lehre . Ich erwähne es deshalb, weil diese Stelle oft benutzt wird, um die Speisegebote der Tohra aufzuheben, allerdings hat Jesus die Thora eher bekräftig, als sie relativiert, wenn man die Bibelstelle so betrachtet, wie sie laut wissenschaft gemeint ist. Heißt das die Speisegebote müssen immer noch eingehalten werden, weil Jesus hat sie nie relativiert? Eine Sache die mir auch noch zu denken gibt, ist die Tatsache, dass Sachen wie Schweinefleich, nie als Speise verstanden wurden, das macht mir auch nochmal Sorgen, weil Jesus und die Jünger haben es auch nicht gegessen, also dürften wir das überhaupt? Also meine zentrale Frage ist ,ob die Speisegebote wirklich aufgehoben sind? Weil die Bibelstelle die dafür auch benutzt wird( Markus 18-23 bzw Markus 7,19 ) ist falsch interpretiert worden. Ändert das etwas an der Aufhebung der Speisegebote? Meine andere Frage ist, ob Christen Schweinefleich essen dürfen, weil Jesus und die Jünger haben das nie getan. Vielen Dank schonmal, für ihre Antwort. Herzliche Grüße Lars

Lieber Lars,

sie haben sich intensiv Gedanken gemacht und sich mit einer Bibelstelle beschäftigt und stellen eine Frage, die die Christenheit schon seit Anbeginn ihres Bestehens beschäftigt. 

Nach klassischer und mehrheitsfähiger christlicher Auslegung sind die Speisegebote der Tora für Christinnen und Christen nicht verbindlich, auch wenn Jesus selbst sie als Jude eingehalten hat. Historisch ist es sehr wahrscheinlich, dass Jesus und seine Jünger als Juden der damaligen Zeit koscher gelebt und kein Schweinefleisch gegessen haben. Das sagt aber zunächst nur etwas über ihr Leben innerhalb des jüdischen Bundes, nicht automatisch über die Verpflichtung von Christen aus den „Völkern“ im Rahmen des Neuen Bundes.

​Jesus bekräftigt an vielen Stellen die Tora und kritisiert Heuchelei, nicht das Gesetz an sich. Gleichzeitig sprechen neutestamentliche Schriften davon, dass Christus das Ziel und das Zentrum unseres Glaubens ist. Gläubige aus den Nationen stellen sie nicht unter die gesamte jüdische Gesetzesobservanz. Die frühe Kirche musste genau diese Frage klären: Müssen Nichtjuden, die an Christus glauben, die Speisegebote halten?

Jetzt haben Sie sich schon mit der Bibelstelle Markus 7,18-23  auseinandergesetzt. Der unmittelbare Anlass sind Vorwürfe der Pharisäer, Jesu Jünger würden mit ungewaschenen Händen essen und damit „unrein“ werden. Jesus kritisiert, dass menschliche Überlieferungen (wie bestimmte Waschrituale) über das eigentliche Wort Gottes gestellt werden, und verlagert den Fokus: Nicht das, was von außen in den Menschen hineinkommt, verunreinigt ihn, sondern das, was aus seinem Herzen herauskommt (böse Gedanken, Lieblosigkeit usw.).

Vers 19  verstehen viele theologische Kommentare als einen theologischen Kommentar des Evangelisten Markus: „Damit erklärte er alle Speisen für rein.“ Manche Ausleger bestreiten, dass Jesus hier bewusst die Speisegebote der Tora aufhebt, andere sehen genau darin eine programmatische Öffnung hin zum Neuen Bund. Alle sind sich aber einig: Jesus verschiebt den Schwerpunkt weg von ritueller Reinheit hin zu Herzensreinheit und moralischer Verantwortung. Dies wird auch immer wieder von anderen Bibelstellen hervorgehoben und betont (z.B. in Matthäus 15,11)

Die Apostelgeschichte berichtet vom sogenannten Apostelkonzil (Apg 15): Auch dort wird ausdrücklich beschlossen, den oftmals als „Heidenchristen“ Bezeichneten nicht das ganze jüdische Gesetz aufzuerlegen, sondern nur einige wenige Regeln. Paulus argumentiert zusätzlich, dass das Reich Gottes nicht Essen und Trinken ist, sondern Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist, und dass Speisefragen das Gewissen nicht versklaven sollen. In dieser Linie steht die große Mehrheit der christlichen Tradition: Die Speisegebote gelten in ihrem ursprünglichen Sinn für Israel, aber nicht als Heilsbedingung für Christen aus den Völkern. So beantwortet Frank Muchlinsky auch die Frage, ob Christ*innen Schweinefleisch essen dürfen: Sie dürfen es. Auch wenn es theologisch legitim ist, aus persönlicher Gewissensentscheidung weiter auf bestimmte Speisen zu verzichten.

Ich wünsche Ihnen weiterhin viele intensive Leseerlebnisse mit der Bibel

Ihr Philipp Raekow

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