Lieber Lars,
sie haben sich intensiv Gedanken gemacht und sich mit einer Bibelstelle beschäftigt und stellen eine Frage, die die Christenheit schon seit Anbeginn ihres Bestehens beschäftigt.
Nach klassischer und mehrheitsfähiger christlicher Auslegung sind die Speisegebote der Tora für Christinnen und Christen nicht verbindlich, auch wenn Jesus selbst sie als Jude eingehalten hat. Historisch ist es sehr wahrscheinlich, dass Jesus und seine Jünger als Juden der damaligen Zeit koscher gelebt und kein Schweinefleisch gegessen haben. Das sagt aber zunächst nur etwas über ihr Leben innerhalb des jüdischen Bundes, nicht automatisch über die Verpflichtung von Christen aus den „Völkern“ im Rahmen des Neuen Bundes.
Jesus bekräftigt an vielen Stellen die Tora und kritisiert Heuchelei, nicht das Gesetz an sich. Gleichzeitig sprechen neutestamentliche Schriften davon, dass Christus das Ziel und das Zentrum unseres Glaubens ist. Gläubige aus den Nationen stellen sie nicht unter die gesamte jüdische Gesetzesobservanz. Die frühe Kirche musste genau diese Frage klären: Müssen Nichtjuden, die an Christus glauben, die Speisegebote halten?
Jetzt haben Sie sich schon mit der Bibelstelle Markus 7,18-23 auseinandergesetzt. Der unmittelbare Anlass sind Vorwürfe der Pharisäer, Jesu Jünger würden mit ungewaschenen Händen essen und damit „unrein“ werden. Jesus kritisiert, dass menschliche Überlieferungen (wie bestimmte Waschrituale) über das eigentliche Wort Gottes gestellt werden, und verlagert den Fokus: Nicht das, was von außen in den Menschen hineinkommt, verunreinigt ihn, sondern das, was aus seinem Herzen herauskommt (böse Gedanken, Lieblosigkeit usw.).
Vers 19 verstehen viele theologische Kommentare als einen theologischen Kommentar des Evangelisten Markus: „Damit erklärte er alle Speisen für rein.“ Manche Ausleger bestreiten, dass Jesus hier bewusst die Speisegebote der Tora aufhebt, andere sehen genau darin eine programmatische Öffnung hin zum Neuen Bund. Alle sind sich aber einig: Jesus verschiebt den Schwerpunkt weg von ritueller Reinheit hin zu Herzensreinheit und moralischer Verantwortung. Dies wird auch immer wieder von anderen Bibelstellen hervorgehoben und betont (z.B. in Matthäus 15,11)
Die Apostelgeschichte berichtet vom sogenannten Apostelkonzil (Apg 15): Auch dort wird ausdrücklich beschlossen, den oftmals als „Heidenchristen“ Bezeichneten nicht das ganze jüdische Gesetz aufzuerlegen, sondern nur einige wenige Regeln. Paulus argumentiert zusätzlich, dass das Reich Gottes nicht Essen und Trinken ist, sondern Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist, und dass Speisefragen das Gewissen nicht versklaven sollen. In dieser Linie steht die große Mehrheit der christlichen Tradition: Die Speisegebote gelten in ihrem ursprünglichen Sinn für Israel, aber nicht als Heilsbedingung für Christen aus den Völkern. So beantwortet Frank Muchlinsky auch die Frage, ob Christ*innen Schweinefleisch essen dürfen: Sie dürfen es. Auch wenn es theologisch legitim ist, aus persönlicher Gewissensentscheidung weiter auf bestimmte Speisen zu verzichten.
Ich wünsche Ihnen weiterhin viele intensive Leseerlebnisse mit der Bibel
Ihr Philipp Raekow