Wie sieht die evangelische Ethik Polyamorie?

Sanna
Drei Blumen hängen mit Wäscheklammern an einer Leine
© Getty Images/iStockphoto/FroggyFrogg

Wie wird in der protestantischen Ethik Polyamorie beurteilt? Gibt es dazu Literatur? Polygamie ist bei uns strafbar, wer nun Polyamorie positiv beurteilt, müsste der sich nicht auch für die Legalisierung von Polygamie einsetzen? Hintergrund: Ich lese im Zusammenhang mit der sogenannten "Polyhochzeit" einer Berliner Pfarrerin fast nur positive Beurteilungen, im Sinne von "Wo Liebe ist, ist Gott und deshalb sind alle Liebesbeziehungen gut und zu segnen". Und auch Erfahrungsberichte. Persönlich merke ich beim Nachdenken darüber innere Widerstände und suche eine fundierte theologisch-ethische Auseinandersetzung. Für eine Antwort wäre ich dankbar.

Liebe Sanna, 

vielen Dank für Ihre Frage. Sie beziehen sich auf eine kirchliche Feier, die im vergangenen Sommer stattfand. Da wir beide die Segensfeier nicht miterlebt haben, müssen wir uns auf die bekannten Fakten stützen. Die sind recht klar beschrieben: Eine kirchliche Hochzeit ist grundsätzlich nur für ein Paar vorgesehen. Im Hintergrund steht die Überzeugung, dass ausschließlich monogam lebende Paare sich gegenseitig die Treue versprechen sollen. Als Pastor darf ich eine kirchliche Trauung nur dann vollziehen, wenn das Paar mir eine Bescheinigung des Standesamtes vorlegt. In dieser Bescheinigung wird die standesamtliche Eheschließung bestätigt.  Als Pastor traue ich also nur Paare, die bereits verheiratet die Kirche betreten. Die Ehe ist – so sagt es Martin Luther – ein "äußerlich weltlich Ding". Die rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte, die mit der Ehe verbunden sind, werden ja auch nach weltlichen Gesetzen geregelt. So ist beispielsweise die "Ehe für Alle" nicht von der Kirche ermöglicht worden, sondern viele Landeskirchen nehmen mit "Traugottesdiensten für Alle" Rücksicht auf die gesellschaftliche Entwicklung, die von der Gesetzgebung übernommen wurde. Also: Es gibt keine "Polyhochzeit", es hat keine solche Hochzeit stattgefunden. Das hat die Landeskirche, in der die Pastorin Dienst tut, auch bestätigt. Das sind die Fakten, die unumstritten sind. Das Wort "Polyhochzeit" führt in die Irre.

Sie fragen aber nach einer theologischen Erklärung der Polyamorie. Eine solche Fragestellung wird – so weit ich die Lage überblicke – von der protestantischen Ethik nicht grundlegend diskutiert. Die Ehe zwischen zwei Personen ist selbstverständlich. 

Das protestantische Gedächtnis bewahrt allerdings Fälle geduldeter Polybeziehungen auf: Philipp von Hessen schloss 1539 eine zweite Ehe. Die Reformatoren dulden – als Ausnahme natürlich– diese "Polyehe". Martin Luther zu dem Thema: "Ich freilich verschmähe die Scheidung, so dass mir eine Bigamie lieber wäre als Scheidung. Aber ob dies zulässig wäre, wage ich selbst nicht festzulegen." Aber das reicht –natürlich– nicht aus für eine grundsätzliche ethische Betrachtung zu Ihrer Frage.  Auch der Hinweis auf den, für die Theologie zentralen Vordenker des 20. Jahrhunderts, Theologieprofessor Karl Barth, der mit seiner Frau Nelly und Charlotte von Kirchbach eng zusammenarbeitete und das Leben teilte, wird nicht weiterhelfen. Denn: Eine theologisch fundierte Reflexion blieb aus. Und ungerecht ging es nach dem Tod der drei Personen weiter: Karl Barth wurde ein weltbekanntes Archiv in Basel gewidmet, die Leistungen von Nelly Barth und Charlotte von Kirschbaum wurden nicht extra dokumentiert.  Ich vermute, dass es hier viele Konflikte und noch mehr Enttäuschungen gab. Immerhin würdigt das Theater in  Ingolstadt – dort ist sie geboren– Charlotte von Kirschbaum zu deren 50. Todestag mit einem Theaterstück. 

Jetzt noch ein Hinweis, der diese Leerstelle in der Theologie immerhin etwas konkreter umschreibt. Sonja Thormaier stellt den "Aufholbedarf" in der evangelischen Kirche fest und erwägt, dass man sich auch dann, wenn man in einer liebevollen und glücklichen Beziehung lebt, in eine andere Person verlieben kann. Für diese Momente der Liebe sucht sie nach einer angemessenen theologischen Sprachfähigkeit. Vielleicht mögen Sie die eröffnete Diskussion auf evangelisch.de verfolgen. 

Ich selbst  begegne auch meinen eigenen inneren Widerständen. Als ich einem meiner mittlerweile erwachsenen Kinder Ihre Frage vorlas, hörte ich nur Ablehnung: "Poly? Das geht nicht gut!" Diese junge, nachstrebende Generation sehnt sich nach Geborgenheit in einer Partnerschaft und bricht zugleich doch mit den einst traditionellen Rollenmustern. 

Ich grüße Sie herzlich, Ihr Henning Kiene

(P.S. Sie nennen in Ihrer Frage den Namen der Pastorin. Ich habe den Namen durch "Berliner Pfarrerin" ersetzt. Es geht in Ihrer Frage und in meiner Antwort um ein inhaltliches Thema und nicht um handelnde Personen, die den Schutz der Kirche benötigen und in keinen neuen Shitstorm geraten sollen.)

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