Evangelische Kirche und Corona

Pascal Schneider
Jugendliche im Kreis machen Corona Gruß mit Ellbogen-Check
©Getty Images/iStockphoto/charmedlightph

Sehr geehrter Herr Muchlinsky,
ich möchte Sie gerne fragen, wo die rote Linie der evangelischen Kirche verläuft, was die Coronamaßnahmen unserer Politiker betrifft.
Die Einsamkeit unserer alten Menschen, die Behandlung unserer Kinder und Jugendlichen als Gesundheitsrisiko, der Ausschluss von Ungeimpften aus dem gesellschaftlichen Leben durch 2G Regelungen halte ich für mit den christlichen Werten unvereinbar.
Wo ist die rote Linie der evangelischen Kirche, wie lange wollen Sie die Politik noch mit dieser gesellschaftlichen Zerstörungswut unkommentiert agieren lassen?

Lieber Herr Schneider,

zuerst möchte ich unbedingt darauf hinweisen, dass es "die evangelische Kirche", wie Sie es sich vielleicht wünschen, nicht gibt. Die protestantischen Kirchen sind ausgesprochen vielfältig. Das macht sie seit Jahrhunderten aus, und darauf sind sie in gewisser Hinsicht stolz, denn es spiegelt die Vielfalt der Gläubigen wider, die – wie der Rest der Bevölkerung – höchst selten mit einer Stimme spricht. Was ich Ihnen also hier als Antwort geben kann, ist die Meinung eines einzelnen lutherischen Pastors, der sich seinem Gewissen verpflichtet sieht, ebenso wie dem Versprechen, das ich bei meiner Ordination gegeben habe, nämlich mich und mein Tun immer wieder an der Bibel und an den Bekenntnissen meiner Kirche auszurichten.

Wenn Sie an möglichst offiziellen Meinungen der Evangelischen Kirchen interessiert sind, empfehle ich Ihnen einen Blick in die Seite der EKD, auf der die verschiedenen Handlungsempfehlungen der Landeskirchen zum Umgang mit dem Coronavirus aufgelistet und verlinkt sind. Das wird Ihnen einen Überblick über die Vielfalt geben. Gleichzeitig werden Sie bei der Durchsicht der verschiedenen Empfehlungen feststellen, dass die Landeskirchen durchaus eine gemeinsame Linie verfolgen, die sich am Schutz der Schwächsten orientiert, also derer, für die eine Infektion mit dem Coronavirus bedrohliche Folgen haben kann. Die Kirchen verstehen die geltenden Regeln also nicht als Ausschluss bestimmter Gruppen, sondern als notwendige Maßnahmen, mit denen jede und jeder Einzelne sich für diejenigen einsetzen kann, die sich nicht selbst schützen können.

Ich kann nachvollziehen, dass Ihnen die Einschränkungen der Freiheit, die die Pandemie mit sich bringt, zu viel sind. Auch ich möchte mit lieber selbst aussuchen, ob und wann ich zur Arbeit gehe oder zum Arzt oder ins Restaurant. Ich verstehe die Angst vieler Menschen, deren Existenz bedroht ist, weil sie nicht mehr alle Menschen ungefragt in ihre Geschäfte lassen dürfen. Ich vermisse das Zusammensein. Ich vermisse den engen Kontakt mit geliebten Menschen. Ich verstehe aber auch die Todesangst derer, bei denen eine Infektion mit Sicherheit schwer verlaufen würde.

Ob unsere Gesellschaft "zerstört" wird, wie Sie befürchten, oder ob sie es nicht wird, liegt nicht an den Maßnahmen, die die Politik verhängt oder nicht. Es liegt an der Gesellschaft selbst, also an Ihnen und an mir. So lange wir uns – vielleicht zähneknirschend – miteinander auseinandersetzen, anstatt einander zu beschimpfen oder gar zu bedrohen, so lange wird unsere Gesellschaft diese schreckliche Zeit überstehen. Die evangelische Kirche trägt ihren Teil dazu bei, dass wir miteinander in Kontakt bleiben können, und sie macht es so gut und so schlecht, wie es alle Teile der Gesellschaft gerade tun.

Ich wünsche Ihnen und uns allen – und unseren Kindern und Jugendlichen zu allererst! –, dass wir bald wieder mehr Freiheit genießen dürfen. Nehmen wir uns bis dahin die Freiheit, trotz allem gut miteinander umzugehen.

Mit herzlichem Gruß!

Frank Muchlinsky

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