In den USA behauptet eine sehr konservative lutherische Konfession, das Wisconsin Evangelical Lutheran Synod, dass sie und alle lutherischen Kirchen glauben, das Papsttum, wenn auch nicht der regierende Papst selbst, sei der Antichrist. Sie sagen, Martin Luther selbst habe so geglaubt, und diese Lehre sei in lutherischen Bekenntnissen verankert. Stimmt das? Lehrt auch die EKD, dass das Papsttum der Antichrist sei?
Lieber "Gast",
die Gleichsetzung des Papsttums mit dem Antichrist geht tatsächlich auf Martin Luther zurück. In den lutherischen Kirchen Deutschlands hat sie allerdings keinen Bekenntnisstatus (also keine Verbindlichkeit). In den USA führte die Frage, ob die lutherischen Bekenntnisschriften diese Identifikation eindeutig gelehrt hätten, 1867 dazu, dass man sich auf dem sogenannten „Kolloquium von Milwaukee“ nicht zwischen der Missouri- und der Iowa-Synode einigen konnte. „Erstere vertritt jenen Standpunkt noch heute, während letztere … dem Antichristverständnis des kontinentalen Neuluthertums zuneigte.“ (Theologische Realenzyklopädie, Bd. 3, Art. Antichrist, S.39)
Die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) ist übrigens der Zusammenschluss verschiedener protestantischer (nicht nur lutherischer) Kirchen. Diese Kirchen haben jeweils ihre eigenen Bekenntnisse. Die EKD lehrt also nicht, dass das Papsttum der Antichtist sei.
Insgesamt sind die Überlegungen zum Antichrist in der zeitgenössischen evangelischen Theologie im Rahmen der Lehre von der Endzeit (Eschatologie) kaum noch vorhanden. Und die polemische Gleichsetzung von Papsttum und Antichrist steht einem ökumenischen Bemühen freilich sehr im Wege.
Den oben zitierten TRE-Artikel kann ich übrigens sehr empfehlen, wenn Sie genau wissen wollen, was für „Metamorphosen“ die Vorstellung vom Antichrist in der Kirchengeschichte so durchgemacht hat. Auch der Gleichsetzung von Antichrist und Papsttum widmet sich der Artikel ausführlich.
Herzlich, Frank Muchlinsky