Lieber Maik,
vielen Dank für Ihre freundliche Anerkennung unserer Arbeit für den Bereich Fragen.evangelisch.de. Als Pastor bin ich ja immer zugleich Theologe und Seelsorger und aus dieser doppelten Perspektive versuche ich auch die Fragen, die mich erreichen, korrekt und zugleich einfühlsam zu beantworten. Ich vermute, dass die Kolleg:innen mir zustimmen würden und es ähnlich sehen: Die Seelsorge ist eben die Muttersprache der kirchlichen Theologie.
Dass Gott mit uns Menschen extrem nachsichtig ist, denke ich auch häufig. Gerade in den letzten Jahren. Ich hätte niemals mit einer Pandemie gerechnet und auch ein Krieg in Europa lag für mich außerhalb des Denkbaren. Es überrascht mich nicht, dass viele Menschen extrem verwirrt sind. Dass der Ton im Alltag ruppiger wird und die Ungeduld zunimmt, spüre ich täglich. Wir haben uns verändert. Ich vermute solche Erlebnisse hinter Ihrer Formulierung: "heutige Zeit."
Doch Sie fragen nicht nach der "heutigen Zeit", Sie fragen nach Gott. Bitte erinnern Sie die Geschichte der Sintflut, nachdem sich die Wasser der tödlichen Flut verlaufen haben, sagt Gott: "Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe." 1. Mose 8,21 Statt auf Rache setzt Gott jetzt auf Gnade, Nachsicht und - leicht gesagt - Gott baut fortan auf seine eigene Toleranz. Und von dieser Zusage profitieren natürlich alle Menschen, auch wir in unserer Gegenwart, die mit Problemen und Gefahren überladen scheint.
Jesus erzählt ein Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen. Das, so der Rat verständiger Knechte, sollte der Bauer stehen und zusammen mit dem Weizen wachsen lassen, erst bei der Ernte soll er das Unkraut vom Weizen trennen (Matthäus 13,24-30). Dieses Gleichnis enthält einen Apell: In Fragen letzter Urteile steht uns kein Mittel zu Verfügung. Weder über Menschen noch über Gott lässt sich etwas Abschließendes sagen. Wenn man zusätzlich noch berücksichtigt, dass manches Unkraut dem Getreide zum Verwechseln ähnlich sieht, sollte man - will man die Frucht überhaupt ernten - sowieso sicherheitshalber Unkraut und Getreide gemeinsam dreschen. Das Bild meint: Wer oder was verdammt ist, werden wir nicht erfahren.
Der Reformator Martin Luther kannte den Begriff Toleranz zunächst nur mit Blick auf Gott. Gott selbst erträgt am Kreuz die Schuld der Menschen und das menschliche Sterben. Gott ist so nachsichtig mit uns, dass er den Tod Jesu auf sich nimmt. Gott belastet sich selbst damit und mit der Sünde. Der "ewige Gott" ist also so nachsichtig mit uns, dass der seinen geliebten Sohn für uns gibt (Johannes 3,16).
Ob Gott den Plan mit Abrahm und Isaak wirklich ändert oder ob er schon vorsorglich das Opfertier im Gestrüpp versteckt hatte, bleibt unklar. Sicher aber ist: Abram wird eine harte Prüfung zugemutet und Abrahm besteht diese Probe. Ich lerne aus der Geschichte, dass ich sogar in den schwersten Zumutungen, vor denen ich im Leben stehe, immer auch mit einer Rettung rechne. Denn Gott hat, das unterstelle ich ihm, einen Plan uns auch durch die krisenhaften "heutigen Zeiten" zu bringen. Nur: Gott legt diesen Plan erst so spät offen, dass ich im Nachhinein hoffentlich sagen kann: Ach so war das. Und: Danke.
Herzlich grüße ich Sie, Ihr Henning Kiene